Plattenbaugefühle: Jugendroman
müssen. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Und immer häufiger bleibt er mir fern, ohne etwas zu sagen. Meistens sieht er nicht gut aus. Ich kann neue Schrammen an ihm zählen, Blutergüsse streicheln, manchmal auch nur eine tiefe Traurigkeit erkennen.
Er kann mir nichts sagen. Ich kann mir alles nur vorstellen, und deswegen besuche ich Aris, hoffend auf seinen Rat. Doch er kann mir keinen geben, er weiß nicht mehr als ich, er macht sich nur Vorwürfe, dass er das alles nicht verhindern kann. Er habe Afyon gerne und habe tatsächlich gehofft, dass etwas aus uns beiden werden könne.
»Ich hätte mir denken können, dass das ein Fiasko wird« sagt er und ärgert sich gewaltig.
»Aber wieso habt ihr, Danny und du, immer mal wieder etwas über Afyon angedeutet?«. Ich will es jetzt wissen.
Aris versucht sich zu erinnern und erzählt mir über die Zeit, bevor ich nach Kranichstein kam: Afyon hatte über MSN Ismet gefragt, wann sie sich wieder sehen könnten. Ismet hatte geantwortet, dass er gerade keine Zeit habe. Daraufhin hatte Afyon gesagt, dass er ihn vermisse und es ihm viel bedeute, sich mit ihm zu treffen. Das fand Ismet recht merkwürdig. Er erzählte es anderen Freunden – mit der Konsequenz, dass Afyon plötzlich von allen über MSN gemobbt und als Schwuchtel bezeichnet wurde. Aris bekam es mit, weil ihn Afyon sofort informierte, und versuchte alles, um die Situation zu glätten – zu versichern, dass es ein Missverständnis sei, dass Afyon es rein freundschaftlich gemeint hatte und dass das doch eine schöne Sache sei, seine Gefühle äußern zu können. Und er versuchte durchzusetzen, dass die ganzen Jungen mit diesem Schwulen-Bashen aufhörten und möglichst keiner von ihnen ein weiteres Wort über die Sache verlören. Afyon hatte nun seinen Ruf weg, und alle waren ihm gegenüber misstrauisch. Solange er nur mit Fußball in Verbindung gebracht wurde, war alles in Ordnung – da wurde er respektiert.
»Und dann kamst du, Jonas!« sagt der Sozialarbeiter zu mir.
Ich schaue ihn erschrocken an.
»Was … was habe ich damit zu tun? Ich kam doch später.«
»Ich hatte gedacht, dass alles anders werden könnte, weil die Jungs dich wirklich gut leiden konnten, weil …«, er unterbricht seinen Satz, greift nach der Kaffetasse, denkt kurz nach, »warum auch immer«, sagt er und trinkt einen Schluck.
»Über mein eventuelles Schwulsein wurde kein Wort verloren?« frage ich ungläubig nach.
»Zumindest habe ich nichts mitgekriegt!« lächelt er mich an, »doch …« Aris ringt nach Wörtern, »als du und Afyon zusammen kamt, begann für ihn das Mobbing wieder«.
»Deswegen war Ismet so drauf …«, füge ich nachdenklich zu.
Aris schüttelt verzweifelt den Kopf.
Jetzt werden mir einige Situationen klarer: die Prügeleien bei der Party, das Erlebnis bei meinem ersten Streifzug durch Kranichstein – hatten sie da Afyon verprügelt? Im Nachhinein denke ich, dass es gut möglich gewesen sein könnte.
»Alda, bist du krank?« Mohammed, der nicht Mohammed heißt, betrachtet mich mit Mitleid.
»Bleib lieber zuhause!« fügt Shad M. hinzu und schaut mich an, als hätte ich die Pest.
Danny macht sich natürlich die allergrößten Sorgen.
»Schatz, was ist denn los? Seit Tagen siehst du schon so bemitleidenswert aus! Kann ich dir helfen?« Meine Mutter ist ganz aufgeregt am Abend.
»Würdest du mich morgen krankmelden?«
»Ist etwas mit Afyon?«
»Natürlich ist etwas mit Afyon. Es ist immer etwas mit Afyon!« platze ich heraus.
Sie nimmt mich in den Arm. Setzt sich neben mich.
»Hat er weniger Gefühle für dich?« Ihre Stimme ist ernst, »oder liegt es eher an den Umständen?«
»An den Umständen … wahrscheinlich« Ich kann meine Tränen nicht mehr aufhalten.
»Mein Großer«, sagt sie und streicht mir durch die Haare, »es ist eben nicht überall so wie bei uns zuhause.«
»Das sagt Afyon auch immer«, Tränen kullern aus meinen Augen, »sein Vater … sein Vater schlägt ihn.«
»Das tut mir Leid! Der arme Junge!« sagt sie entsetzt, »wie kann ich dir helfen?«
»Niemand kann mir helfen«, flüstere ich mutlos vor mich hin.
Sie küsst mich auf die Stirn.
»Bleib zuhause, schlaf dich aus, mach dir Gedanken darüber, wie es weitergehen soll. Vielleicht ... ich weiß, du bist verliebt, vielleicht ist es einfach nicht das Richtige?«
»Mama!«
»Entschuldige bitte!« sagt sie empört, »sich attraktiv finden ist nicht alles. Denk an Romeo und Julia.«
»In Kranichstein« flüstere ich und
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