Ploetzlich blond
jetzt nicht so schnell aufgeben.
»Bis vor Kurzem«, sagte ich ruhig, »war ich in der elften Klasse der Tribeca Highschool. Vor ungefähr einem Monat hatte ich dann … anscheinend … irgendeine Art von Unfall. Die Einzelheiten sind mir leider selbst nicht ganz klar. Als ich aufgewacht bin, lag ich jedenfalls in dem Krankenhaus, aus dem ihr mich gerade entführt habt. Und in das ich gerne zurückkehren würde. Und zwar jetzt sofort.«
Meine Stimme klang bei dem Wort ›jetzt‹ etwas schrill, aber im Großen und Ganzen hatte ich es geschafft, mein Anliegen ziemlich gefasst vorzutragen. Auf jeden Fall gefasster, als ich mich fühlte, wenn man bedenkt, dass ich gerade gegen meinen Willen von zwei jugendlichen Millionärserben in einer Limousine festgehalten wurde.
Außerdem fiel mir auf, dass mir niemand einen Energydrink angeboten hatte, dabei war ich echt durstig.
»Ach du Scheiße«, stöhnte Brandon nur, als ich fertig war. Es klang, als wäre es ihm unabsichtlich herausgerutscht.
»Ich weiß«, sagte Lulu düster, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Aber wenn wir nach Hause kommen und sie ihre Sachen sieht, geht es ihr bestimmt gleich besser. Ich meine, schau dir mal das Kleid an, das sie anhat. Das ist doch der Beweis dafür, dass sie komplett neben sich steht. Nikki wäre eher gestorben, als sich in so einem Fetzen in der Öffentlichkeit blicken zu lassen.«
Mein Kleid? Wovon sprach sie? Ich sah an mir herunter und erkannte, dass sie offensichtlich mein Krankenhaushemd meinte.
»Okay, jetzt reicht's.« Ich beugte mich vor, um direkt mit Tom zu reden. So hieß der Chauffeur ja offenbar. »Fahren Sie sofort rechts ran und lassen Sie mich raus, andernfalls kön nen Sie die beiden wegen Freiheitsberaubung ins Gefängnis begleiten.«
Zu meiner Überraschung hielt er tatsächlich an. Aber nur – wie sich kurz darauf herausstellte – weil wir unser Ziel sowieso erreicht hatten.
»Tut mir leid, Ms Howard«, sagte der Chauffeur, und aus seiner Stimme klang aufrichtiges Bedauern. »Ich folge nur den Anweisungen.«
»Wieso nennen mich bloß alle die ganze Zeit so?«, brüllte ich.
»Wie denn, Ma'am?«, fragte Tom.
»Howard«, zischte ich. »Und Nikki.«
»Nun ja.« Tom zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Weil Sie nun mal so heißen.«
»Ich habe bereits mehrmals gesagt«, bellte ich, »dass ich Emerson Watts heiße. Ich – bin – nicht – Nikki – Howard.«
»Ähem, ich muss Ihnen leider widersprechen«, sagte Tom und drehte den Rückspiegel so, dass ich mich darin sehen konnte. »Sie sind es.« Ich hob meinen Blick zum Spiegel. Und dann schrie ich laut auf.
Na ja, normal, oder? Wer würde nicht schreien, wenn er in den Spiegel schauen und darin ein Gesicht entdecken würde, das jemand ganz anderem gehört? Und nicht bloß irgendjemand anderem, sondern jemandem, der auf Zeitschriftencovern, Buswerbeflächen und Telefonhäuschen in der gan zen Stadt zu sehen ist. Und zwar in einem knappen BH und Panties.
Um es kurz zu machen: Als ich in den Rückspiegel schaute, starrte mir Nikki Howards Gesicht entgegen.
Als ich erschrocken die rechte Hand auf meinen Mund presste, machte Nikki dasselbe. Und als ich meine Hand fallen ließ, tat Nikki wieder dasselbe.
In diesem Moment fing ich an zu zittern. Ich konnte es nicht kontrollieren.
»Wie …«, fragte ich, ohne jemand Bestimmten anzusprechen. »Wie konnte das passieren?«
»Das versuchen wir ja die ganze Zeit herauszufinden«, sagte Lulu. »Verstehst du jetzt, wieso wir dich entführen mussten? Ich meine, warum wir eine Krisenintervention durchführen mussten!?«
Ich strich mit zitternden Finger über meine Haare … Nikki Howards Haare …, die jemand zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte, der wie ein goldglänzender Wasserfall über meinen Rücken (oder besser gesagt: Nikkis Rücken) floss. Deshalb waren sie mir bisher auch nicht aufgefallen. Einen Spiegel hatte es in meinem Krankenzimmer ja nicht gegeben. Aus gutem Grund, wie mir jetzt klar wurde.
»Oh Gott, ich … ich bin ein Model !«, jammerte ich mein Spiegelbild an.
Jetzt verstand ich endlich auch, weshalb meine Stimme so komisch klang. Weil die Stimme, die ich hörte, gar nicht meine war. Es war Nikki Howards Stimme – hoch, mädchenhaft und leicht kehlig … Ganz anders als meine eigene.
»Stimmt«, sagte Lulu bedächtig. »Erinnerst du dich jetzt wieder an mich? Ich bin Lu-lu . Lulu Collins. Deine beste Freundin, mit der du dein Loft teilst?«
Sie wirkte ehrlich besorgt um
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