Ploetzlich Fee 04 - Frühlingsnacht
mir mit der Hand durchs Haar. »Ich will ja bei ihnen sein«, gab ich leise zu. »Mehr als alles andere wünsche ich mir, sie wiederzusehen. Aber wenn meine Zukunft so aussieht, wenn all das unvermeidlich auf mich zukommt …«
»Da irrst du dich«, wandte Ariella zu meiner Überraschung ein und lächelte. »Das ist eine Zukunft, Ash. Nur eine von vielen. Ich bin Seherin, ich muss es wissen. Nichts ist festgeschrieben. Die Zukunft ist ständiger Wandlung unterworfen, und niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, was als Nächstes passieren wird. Aber eines wüsste ich gern: Du hattest in dieser Zukunftsvision also einen Sohn?«
Ich nickte. Beim Gedanken an Kierran spürte ich ein schmerzliches Ziehen in der Brust.
»Fehlt er dir?«
Ich seufzte schwer, nickte und sank wieder in mich zusammen. »Das ist seltsam«, flüsterte ich und spürte, wie sich ein Klumpen in meiner Kehle bildete. »Er ist nicht einmal real, und trotzdem … für mich fühlt es sich so an, als wäre er derjenige, der gestorben ist. Seine Existenz war reine Illusion, aber ich kannte ihn. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Detail von ihm. Und von Meghan.« Der Klumpen schwoll an, dann spürte ich ein Brennen in den Augen und Nässe auf den Wangen. Ich konnte immer noch Kierrans Lächeln vor mir sehen, Meghans Atem auf meiner Haut spüren, wenn sie schlief. Und obwohl mein Kopf wusste, dass diese Erinnerungen reine Illusion waren, sperrte sich mein Gefühl aufs Heftigste gegen diesen Gedanken. Ich kannte sie. Jede Kleinigkeit an ihnen. Ihr Glück, ihr Kummer, ihre Triumphe, Schmerzen und Ängste hatten sich in meiner Erinnerung eingebrannt. Für mich waren sie real.
»Meine Familie.« Nur flüsternd konnte ich es eingestehen, während ich das Gesicht in den Händen verbarg. »Meghan, Kierran. Ich vermisse sie … sie waren alles für mich. Ich will sie zurückhaben.«
Ariella legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. »Und selbst wenn die Zukunft sich so entwickeln sollte«, flüsterte sie mir ins Ohr, »würdest du das alles verpassen wollen? Jetzt, wo du weißt, wie es ausgeht, würdest du irgendetwas ändern wollen?«
Ich entzog mich ihrer Umarmung, um sie anzusehen, während langsam eine Erkenntnis in mir heranreifte. »Nein«, murmelte ich, und war davon selbst am meisten überrascht. Denn all der Schmerz, die Verletztheit und Einsamkeit, als ich erleben musste, wie sie mich alle verließen, wurden von dem Glück und dem Stolz überstrahlt, die ich bei Kierrans Anblick empfand, von der tiefen Zufriedenheit, die mich in Meghans Armen umgab, und von der allumfassenden, unendlichen Liebe, die ich meiner Familie entgegenbrachte.
Und vielleicht machte genau das das Menschsein aus.
Ariella erwiderte mein Lächeln, doch gleichzeitig sah ich die Trauer in ihren Augen. »Dann weißt du ja, was du zu tun hast.«
Ich drückte sie an mich und küsste sie auf die Stirn. »Danke«, flüsterte ich, auch wenn es mir schwerfiel, es auszusprechen. Nun war die Überraschung auf Ariellas Seite. Feen bedankten sich unter keinen Umständen, da sie befürchteten, dem anderen dadurch etwas schuldig zu sein. Dem alten Ash wäre dieses Wort niemals über die Lippen gekommen. Vielleicht war das auch ein Zeichen dafür, dass ich auf dem Weg war, ein Mensch zu werden.
Entschlossen stand ich auf und zog Ariella auf die Füße. »Ich denke, ich bin bereit«, erklärte ich mit Blick auf das Schloss. Mein Herz klopfte erwartungsvoll, aber ich hatte keine Angst mehr. »Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«
»Dann sollten wir keine weitere Zeit verschwenden«, verkündete der Wächter, der plötzlich hinter uns erschien. »Bist du zu einem Entschluss gelangt, Ritter?«
Ich löste mich von Ariella und stellte mich dem Wächter. »Jawohl.«
»Und wofür hast du dich entschieden?«
»Für meine Seele.« Sobald es ausgesprochen war, fiel mir eine riesige Last von den Schultern. Keine Zweifel mehr. Keine Grübelei. Ich kannte meinen Weg, wusste, was zu tun war. »Ich wähle das Menschsein, mit allem, was dazugehört. Schwäche, Gewissen, Sterblichkeit, alles.«
Der Wächter nickte. »So sind wir denn am Ende angelangt. Und du, Ritter, wirst der Erste sein, der erlangt, wonach er gestrebt hat. Folgt mir.«
Am Tor schloss Puck sich uns an. Gemeinsam folgten wir dem Wächter durch die düsteren Gänge und über eine lange Wendeltreppe bis zu einer Plattform auf dem höchsten Schlossturm. Hier gab es kein Dach mehr, sodass wir unter freiem Himmel
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