Ploetzlich Fee 04 - Frühlingsnacht
standen, über uns die unzähligen Lichter und strahlend hellen Sternbilder. Funkelnde Felsen aus Mondgestein schwebten vorbei und zogen Spuren aus glitzerndem Staub hinter sich her. Der Wächter ging bis zum äußersten Rand der Plattform, dann drehte er sich um und winkte mich zu sich.
»Du hast alle Prüfungen erduldet«, begann er. »Du hast verinnerlicht, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, ein Sterblicher, und ohne dieses Wissen könnte eine Seele nicht lange in dir verweilen. Du hast bestanden, Ritter. Du bist bereit.« Mein Magen verkrampfte sich vor Anspannung, aber der Wächter war noch nicht fertig. »Doch etwas so Reines wie eine Seele kann nicht aus dem Nichts erwachsen. Ein letztes Opfer ist erforderlich, jedoch wirst nicht du derjenige sein, der es erbringen muss. Damit in dir eine Seele geboren werden kann, muss ein Leben gegeben werden, und das aus freien Stücken und ohne jeden Vorbehalt. Wird diese selbstlose Tat von jemandem vollbracht, der dich liebt, so erwächst aus diesem Opfer eine Seele. Geschieht dies nicht, wird sich die Leere in dir nicht füllen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde schwebte ich noch in seliger Unwissenheit, in der sich mir die wahre Bedeutung dieser Worte entzog. Doch dann begriff ich, was der Wächter da gesagt hatte, und eine eisige Faust schloss sich um mein Herz. Benommen starrte ich ihn an, und schließlich verwandelte sich mein Entsetzen in Wut. »Jemand muss für mich sterben«, brachte ich fast flüsternd hervor. Der Wächter zeigte keinerlei Reaktion, während sich in meinem Innern ein gähnendes Loch auftat und ich in die Finsternis hinabstürzte. »Dann war alles umsonst. Alles, womit du mich konfrontiert hast, alles, was ich durchgemacht habe, umsonst!« Zu der brodelnden Wut gesellte sich Verzweiflung. Ich hatte so sehr gekämpft, hatte so viel gelitten, nur um am Ende die Vergeblichkeit all dessen zu erkennen. Das konnte nicht sein. »Niemals«, presste ich hervor, während ich vor dem Wächter zurückwich. »Das werde ich niemals zulassen.«
»Es ist nicht an dir, dieses Opfer zu erbringen, Ash.«
Voller Bestürzung sah ich mit an, wie Ariella vor den Wächter trat. Ihre Stimme zitterte leicht, doch sie reckte stolz das Kinn. »Hier bin ich«, sagte sie leise. »Er hat mich. Ich bin bereit, diese Wahl zu treffen.«
»Ari«, hörte ich Puck hinter mir keuchen.
Nein! Ich stolperte auf sie zu, völlig schockiert von diesem Angebot. Mein Herz hämmerte voller Entsetzen und Verzweiflung. Genauso hatte ich empfunden, als ich zusehen musste, wie der Wyvern sie tödlich verletzte und sie in meinen Armen starb. Damals hatte ich hilflos mit ansehen müssen, wie sie mir entglitt. Aber das hier konnte ich verhindern. Das hier würde ich verhindern. »Nein, Ari«, protestierte ich mit rauer Stimme und stellte mich zwischen sie und den Wächter. »Das darfst du nicht! Wenn du noch einmal stirbst …«
»Deswegen bin ich doch hier, Ash.« Mit Tränen in den Augen sah sie zu mir hoch und versuchte zu lächeln. »Nur deshalb bin ich mitgekommen. Für diesen Moment wurde ich ins Leben zurückgeschickt, um diese letzte Tat zu vollbringen, bevor das Feenreich mich wieder zu sich holt.«
»Das werde ich nicht zulassen!« Verzweifelt packte ich ihren Arm, und sie versuchte nicht, sich mir zu entziehen. Der Wächter sah schweigend zu, wie ich sie weiter anflehte: »Tu es nicht«, flüsterte ich. »Wirf nicht einfach so dein Leben weg. Nicht für mich. Nicht schon wieder.«
Ariella schüttelte den Kopf. »Ich bin müde, Ash.« Ihr Blick ging durch mich hindurch und richtete sich auf etwas, das ich nicht sehen konnte. »Es … ist genug.«
In meinem Rücken ließ Puck einen kurzen Seufzer hören. Ich hoffte, er würde ebenfalls protestieren und sie von diesem wahnsinnigen Vorhaben abbringen. Doch wieder einmal überraschte mich Robin Goodfellow, als er bedrückt, aber entschlossen sagte: »Ich bin so froh, dass ich dich noch einmal sehen durfte, Ari.« An dem leichten Zittern in seiner Stimme erkannte ich, dass er mit den Tränen kämpfte. »Und keine Sorge – ich werde gut auf ihn aufpassen.«
»Du warst mir ein guter Freund, Puck.« Ariella lächelte ihm zu, auch wenn ihre Augen blicklos in die Ferne sahen. »Es macht mich glücklich, dass ich euch beiden einen Neuanfang schenken konnte.«
Ich fühlte mich verraten und umklammerte ihre Schulter nun so fest, dass sie schmerzerfüllt zusammenzuckte. Aber Ariella sah mich noch immer nicht an. »Ich werde dich nicht
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