Plötzlich Fee - Sommernacht - Kagawa, J: Plötzlich Fee - Sommernacht - The Iron Fey, Book 1: The Iron King
adeligen Damen und Herren geboten – sie beherrschen das Spiel der Politik und sind gut darin, sich ein Unterpfand zu sichern.« Plötzlich wurde sie blass und schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich habe schon zu viel gesagt. Bitte verzeih mir. Wenn König Oberon davon erfährt…«
»Ich werde nichts sagen«, versprach ich.
Sie wirkte erleichtert. »Ich bin dir verbunden, Meghan Chase. Andere hätten das möglicherweise gegen mich verwendet. Ich bin immer noch dabei, die Spielregeln des höfischen Lebens zu lernen.«
»Wie heißt du?«
»Tansy.«
»Nun ja, du bist bisher die Einzige, die nett zu mir war, ohne etwas dafür zu erwarten«, erklärte ich. »Danke.«
Das machte sie verlegen. »Du musst dich wirklich nicht in meine Schuld begeben, Meghan Chase. Komm, ich zeige dir dein Gemach.«
Wir standen am äußersten Rand der Lichtung. Vor uns ragte eine blühende Brombeerhecke auf, die so dicht und hoch war, dass ich die andere Seite nicht sehen konnte. Zwischen den rosa-violetten Blüten ragten bedrohliche Dornen hervor.
Tansy streckte die Hand aus und strich über ein Blütenblatt.
Die Hecke zitterte, dann zogen sich die Zweige zurück und verformten sich, bis ein Tunnel entstand, so ähnlich wie der, der zum Hof geführt hatte. Am Ende dieses stacheligen Gangs befand sich eine kleine rote Tür.
Völlig benommen folgte ich Tansy durch den Dornentunnel und die Tür, die sie mir aufhielt. Drinnen erwartete mich ein umwerfendes Schlafzimmer. Der Boden bestand aus weißem Marmor, in den Bilder von Blumen, Vögeln und Tieren eingelassen waren. Ich konnte es kaum glauben, als ich sah, wie sich einige von ihnen bewegten. In der Mitte des Raums plätscherte ein Brunnen und daneben stand ein kleiner Tisch, auf dem Kuchen, Tee und Weinflaschen warteten. Eine Wand wurde von einem riesigen seidenbezogenen Bett eingenommen, eine andere von einem großen Kamin. Die Flammen des Feuers wechselten die Farbe, von Grün über Blau zu Rosa und wieder zurück.
»Dies ist das Gemach für Ehrengäste«, verkündete Tansy, wobei sie sich neidisch umsah. »Nur bedeutende Gäste des Lichten Hofes dürfen hier wohnen. Dein Vater erweist dir wirklich eine große Ehre.«
»Bitte nenn ihn nicht so, Tansy.« Seufzend schaute ich mich in dem großen Raum um. »Mein Vater war ein Versicherungsvertreter aus Brooklyn. Ich würde es doch wissen, wenn ich kein richtiger Mensch wäre, oder? Gäbe es nicht bestimmte Anzeichen wie spitze Ohren oder Flügel oder so?«
Tansy blinzelte und musterte mich auf eine Art, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Mit klappernden Hufen durchquerte sie den Raum, stellte sich
neben eine große Frisierkommode mit Spiegel und winkte mich mit einem Finger zu sich heran.
Angespannt trat ich zu ihr und stellte mich neben sie. Irgendwo tief in mir schrie eine Stimme, dass ich eigentlich gar nicht sehen wollte, was gleich offenbart werden würde. Ich hörte nicht rechtzeitig hin. Mit einem ernsten Blick zeigte Tansy auf den Spiegel, und dann wurde bereits zum zweiten Mal an diesem Tag meine gesamte Welt auf den Kopf gestellt.
Seit ich mit Puck durch den Kleiderschrank gegangen war, hatte ich mein Spiegelbild nicht mehr gesehen. Ich wusste, dass meine Sachen dreckig, verschwitzt und von Zweigen, Dornen und Krallen zerfetzt waren. Vom Hals abwärts sah ich auch genauso aus, wie erwartet: Wie ein Penner, der zwei Tage lang durch die Wildnis gerannt war, ohne sich zu waschen.
Mein Gesicht erkannte ich nicht.
Ich meine, ich wusste natürlich, dass ich es war. Das Spiegelbild bewegte die Lippen, wenn ich es tat, und blinzelte, wenn ich blinzelte. Aber meine Haut war blasser, meine Wangenknochen ausgeprägter, und meine Augen schienen riesig zu sein, wie bei einem Reh im Scheinwerferlicht. Und durch meine verfilzten, zerzausten Haare ragten, wo gestern noch nichts zu sehen gewesen war, zwei lange, spitze Ohren empor.
Fassungslos starrte ich mein Spiegelbild an. Mir wurde schwindelig. Ich begriff einfach nicht, was das bedeutete. Nein !, schrie mein Verstand und weigerte sich, das Bild vor meinen Augen zu akzeptieren. Das bist du nicht! Niemals!
Der Boden begann sich zu drehen. Ich bekam keine Luft mehr. Dann brachen der Schock, das Adrenalin, die Angst und das Entsetzen der letzten zwei Tage auf einmal über mich herein. Die Welt drehte sich, kippte aus den Angeln und schickte mich in die Bewusstlosigkeit.
Zweiter Teil
Titanias Versprechen
»Meghan«, rief Mom durch die Tür, »aufstehen.
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