Ploetzlich Mensch
schwe i gend hinnehmen, so als wäre nichts geschehen? Sie war sich nicht s i cher, was schmerzhafter sein würde.
Ein Geräusch an der Tür ließ sie aufblicken. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und ric h tete sich auf. Nun würde sie erfahren, was man mit ihr vorhatte.
*
Zwei stämmige Männer in weißen Roben packten Dean bei den Schu l tern und schleiften ihn aus dem Zimmer. Seine Frage nach dem „Wo bin ich hier?“ blieb nach wie vor unbeantwortet. Die langen Flure, durch die er geschleift wurde, waren ebenso weiß und steril wie die Roben dieser Leute. Weißer Boden, weiße Wände, weiße Türen.
„ Ey, Teddybär! Wo genau sind wir hier?“, wandte er sich an den bu l ligen Kerl, der seine rechte Schulter im Schraubstockgriff hielt. Der Mann schenkte ihm einen abfälligen Blick, erwiderte aber nichts.
„ Komm schon. Ich möchte doch nur wissen, was für ein Gebäude das ist. Hier sieht’s ja aus wie in einem Krankenhaus.“ Der Schrau b stockgriff um seine Schulter verstärkte sich merklich und der Blick, der auf ihm ruhte, wurde noch eine Spur eisiger.
„ Du befindest dich im Tempel des Lichts, Unwürdiger. Du solltest deine respektlosen Reden besser unterlassen, oder es wird dir noch leidtun.“
Deans über den Boden schleifende Füße holperten einige Treppe n stufen hinunter, doch er nahm es nur am Rande wahr. „Tempel des Lichts?“, wiederholte er nachdenklich.
Er hatte von der Glaubensgemeinschaft gehört, die sich Die Kinder des Lichts nannten. Ihr Tempel war ein schneeweißes Gebäude im Zen t rum der Stadt, um das sich viele Gerüchte rankten. Er hielt nicht viel von solchen Glaubensgemeinschaften. Sie waren Zufluchtsstätten für jene, die sich lieber von höherer Stelle sagen ließen, was sie zu tun und zu lassen hatten, anstatt ihren eigenen Verstand zu benutzen. Zumal er als ein „Wesen der Finsternis“ sowieso keinen Zutritt zu einem solchen Tempel erhalten hätte.
Soweit er wusste, verehrten diese Leute ein mächtiges Lichtwesen, das seinen Gläubigen eines Tages die Erlösung bringen sollte. Was auch immer das bedeuten mochte. Jeden Tag pilgerten Hunderte Me n schen und andere Taggeschöpfe in den Tempel, um ihre Krankheiten heilen zu lassen und ihrer Gottheit zu huldigen. Sollte dieses mächtige Lichtwesen, dieser Luminis, wirklich in der jungen Frau stecken, die er versucht hatte zu erlegen? Das würde zumindest erklären, warum er wieder zum Menschen geworden war. Es war durchaus vorstellbar, dass ein Gott die Fähigkeit besaß, einen Toten wieder zum Leben zu erwecken. Zumindest , wenn man den lobpreisenden Worten der Pr e diger Glauben schenken wollte. Aber das taten nur Idioten.
Sie durchquerten einen weiteren langen Flur und stoppten schließlich vor einer kunstvoll verzierten Holztür, auf der etwa in Kopfhöhe ein lichtumstrahltes großes Auge prangte.
Der glatzköpfige Mann, der ihnen vorausgeeilt war, gab dem M i notaurus, der neben der Tür Wache hielt, einen Wink, woraufhin dieser den schweren Eisenriegel, der von außen vorgeschoben war, zur Seite zog. Dean wurde mulmig zumute bei diesem Anblick. Diese Siche r heitsvorkehrungen ließen nur zwei Schlüsse zu. Entweder war das, was in dem Raum hinter der Tür lag, sehr wertvoll, sodass man es unter allen Umständen schützen wollte, oder es war so gefährlich, dass man auf jeden Fall verhindern wollte, dass es herauskam. Die Tatsache, dass der schwere Riegel auf dieser Seite der Tür war, legte den Schluss nah, dass letztere Erklärung die zutreffende war.
Ihm schauderte. Ob es wirklich eine gute Idee war, dort hineinzug e hen? Die junge Frau würde nach ihrer letzten Begegnung an diesem Morgen wohl nicht sonderlich erfreut auf sein Auftauchen r e agieren. Es war sehr fraglich, ob sie ihn überhaupt nahe genug an sich heranla s sen würde, damit er dieses „Fragment“ wieder an sie zurückgeben konnte. Wie auch immer das funktionieren sollte.
Die schwere Holztür vor ihm schwang auf und er wurde unsanft in das Gemach der Prinzessin gezerrt. Der Raum hinter der Tür unte r schied sich deutlich von dem schlichten Weiß der Flure. Zwar waren auch hier die Wände in weißer Farbe gestrichen worden, doch die Ei n richtung war prunkvoll und farbenfroh.
Kunstvoll geschnitzte Holzmöbel mit eingearbeiteten Intarsien, gli t zernde Kristallleuchter, deckenhohe Ölgemälde, die offenbar wichtige Szenen aus dem Glaubensmanifest der Kinder des Lichts abbildeten, ein
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