Ploetzlich Mensch
menschliche Gefühle. Was dachte er denn da für einen Unsinn! Er durfte sie auf keinen Fall laufen lassen. Sie war seine einzige Möglichkeit wieder normal zu we r den.
„ Das kann ich nicht. Beschimpf und beleidige mich so viel du willst, aber du bist die Einzige, die mich zurückverwandeln kann. Wohin du auch gehst, ich begleite dich.“
„ Ich sagte doch, ich kann dir nicht helfen.“
„ Okay, okay. Es mag sein, dass du nicht weißt, wie du mir helfen kannst. Aber es ist ein Fakt, dass du für meine Verwandlung veran t wortlich bist. Bei meinem Biss ist etwas von dir auf mich übergega n gen. Deshalb haben die Typen aus dem Tempel mich hopsgenommen und zu dir gesperrt. Okay? Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, das Ganze wieder rückgängig zu machen. Ich will genauso wenig in dieses seltsame weiße Gefängnis zurück wie du. Und ich glaube, du könntest hier draußen jemanden gebrauchen, der auf deiner Seite ist.“ Ihr Blick war noch immer voller Skepsis, doch die abwehrende Haltung ihres Körpers ließ ein wenig nach.
„ Warum sollte ich dir trauen? Du hast schon einmal versucht , mich umzubringen.“
„ Ich bin im Moment genauso schwach wie du. Selbst wenn ich wol l te, was nicht der Fall ist, glaube mir, könnte ich dir kaum etwas antun. Du hast nichts von mir zu befürchten.“
Sie gab ein abschätziges Schnaufen von sich. „Du bist immer noch ein Mann, wenn auch ein recht erbärmlicher.“
Also bitte!
Er war überhaupt nicht erbärmlich! Vielleicht ein bisschen mitg e nommen, schließlich hatten seine Kleidung und sein Körper an diesem ereignisreichen Vormittag einiges durchmachen müssen. Aber erbär m lich? Diese Bezeichnung ließ sein Ego nicht zu.
Er schluckte seine Empörung herunter und versuchte , Ruhe zu b e wahren. Er war sich im Klaren darüber, dass sie ihm nach wie vor kein Vertrauen schenkte. Aber im Augenblick schien es zumindest so etwas wie einen Waffenstillstand zwischen ihnen zu geben. Es musste ihm gelingen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie hilfreich wären jetzt seine Vampirkräfte gewesen. Mit denen wäre es ein Leichtes gewesen , sie um den Finger zu wickeln. So aber würde er sich mühsam auf menschliche Art ihr Vertrauen erwerben müssen. Aber gut. Auch das würde er i r gendwie hinbekommen.
„ Was hast du jetzt vor?“
„ Keine Ahnung“, erwiderte sie matt. „Im Prinzip ist es egal, was ich mache. Sie werden mich über kurz oder lang sowieso wieder einfa n gen.“ Ihr Blick glitt über das Geländer hinab auf die mehrspurige Str a ße, die gut vier Meter unter ihnen lag. Es waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs. Das würde sich erst in einigen Stunden ändern, wenn der Feierabendverkehr begann. Noch herrschte Ruhe vor dem Sturm.
„ Ich glaube nicht, dass diese Höhe reicht, um sich in den Tod zu stürzen“, merkte er beiläufig an, während er neben sie an die Brüstung trat. „Du würdest dir nur die Beine brechen und dann könntest du vor niemandem mehr davonlaufen.“
Einen Moment lang sah sie ihn erschrocken an, entsetzt über die Tatsache, dass es ihm so mühelos gelungen war , ihre Gedanken zu e r raten.
„ Du willst also nicht mehr in den Tempel zurück“, stellte er fest.
Sie schüttelte den Kopf, den Blick noch immer taxierend auf ihm r u hend. „Sie werden mich nie in Ruhe lassen. Ich trage ihren Gott in mir“, sagte sie voller Bitterkeit.
Da auch er einen Teil davon in sich trug, würden sie ihn vermutlich auch nicht einfach so gehen lassen. Unwillkürlich glitt sein Blick die Brücke entlang, doch sie schienen weit und breit die E inzigen zu sein. Dennoch war es besser, wenn sie von hier verschwanden.
„ Wir sollten nicht hier draußen bleiben. Es gibt ein nettes, kleines Restaurant nicht weit von hier, das fantastische Hamburger machen soll. Dort sind wir zumindest von der Straße weg und du musst auch keine Angst haben, dass ich dir etwas tue, weil genug andere um uns herum sein werden.“
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Okay“, meinte sie zögernd. „Aber komm mir nicht zu nahe. Du würdest es bereuen, das schwöre ich dir.“
7
Clara war am Ende ihrer Kräfte. Ihre Verzweiflung und Wut hatten sich erneut in Resignation verwandelt, die jede weitere Regung ihres Körpers zu dämpfen schien. Sie wollte nicht mit diesem seltsamen Kerl mitgehen, dem sie noch immer kein Vertrauen entgegenbrachte. Doch was sollte sie sonst tun? Sie hatte niemanden hier draußen, der ihr he l fen würde, und allein war ihre Chance nicht
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