Ploetzlich Mensch
eine nur allzu vertraute Stimme sagen.
Voller Entsetzen blickte sie in das Gesicht von Saphira, der obersten Tempelpriesterin.
„ Was machst du hier in den Fluren? Ich dachte, man hätte dich ei n gesperrt“, sagte Saphira mit der üblichen Kälte in ihrer Stimme, wä h rend ihre grünen Augen Clara zu durchleuchten schienen.
Sie wollte sich losreißen, schaffte es aber nicht, sich dem festen Griff der Priesterin zu entwinden.
„ Offenbar bist du ein weiteres Mal ausgerissen“, stellte Saphira sac h lich fest. „Wir wollen doch mal sehen, wie es um das Siegel bestellt ist.“
Mit diesen Worten legte sich ihre andere Hand wie eine eiserne Klaue um Claras Stirn. Sie wusste, was nun geschehen würde, und sie hasste diese Prozedur wie nichts anderes auf der Welt. Saphiras gewaltsame Art, in den Kopf eines Menschen einzudringen, war widerlich und kam einer Vergewaltigung des Geists gleich. Nur unter größter Krafta n strengung war es ihr bisher gelungen, die Priesterin zumindest von i h ren intimsten Gedanken abzuschirmen. Doch das Gefühl von einem fremden Geist übernommen zu werden und teilweise die Gewalt über seinen eigenen Körper zu verlieren war und blieb grauenhaft.
Clara spürte, wie sich ihr Körper in Erwartung neuen Unbehagens anspannte. Doch irgendetwas in ihr wollte sich dem nicht länger kampflos ergeben. Als Saphiras kalter Geist sich in ihren Kopf drängte, bereit, jede Faser ihres Körpers zu durchleuchten, zog sie reflexartig eine Mauer in ihrem Inneren auf, die den Eindringling abprallen ließ.
Mit einem leisen, erschrockenen Schrei prallte Saphira von ihr z u rück. Überrascht starrte sie Clara an.
In diesem Moment war ein Tumult vom anderen Ende des Flures zu hören. Als Clara sich umblickte, sah sie einen der beiden Novizen, die eben noch an ihr vorbeigegangen waren, mit einem Aufschrei durch die Luft fliegen und unsanft in der gegenüberliegenden Wand einschl a gen. Der andere kam mit angstvollem Blick auf sie zugelaufen. „Ein Dämon! Ein Dämon ist im Tempel“, schrie er in Panik und rannte an ihnen vorbei, ohne sie weiter zu beachten.
Im nächsten Augenblick kam eine weitere weiß gewandete Gestalt um die Biegung des Flures. Sie hatte nicht den sanft gleitenden Tri p pelschritt eines Tempeldieners. Die Bewegungen waren energisch und geschmeidig zugleich, wie die eines Raubtieres. Es dauerte einen M o ment, bis Clara erkannte, dass es Dean war. Ihr Herzschlag schien vor Freude kurz auszusetzen. Dean lebte und er war hier, um sie zu retten. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Doch irgendetwas an ihm war anders. Seine Haut war blass, seine Haltung angespannt und lauernd. Das leuchtende Blau seiner Augen schien noch eine Spur intensiver und eisiger zu sein als sonst.
„ Clara“, rief er ihr entgegen, als er sie erkannte, und war mit wenigen Schritten neben ihr und Saphira. Mit einem Ruck riss er die rothaarige Priesterin von ihr fort und drückte sie unsanft gegen die Wand. Saphira stöhnte schmerzerfüllt auf und versuchte verzweifelt, sich aus seinem Griff zu befreien, hatte damit aber keinerlei Erfolg.
„ Hallo Miststück“, begrüßte Dean sie mit einem diabolischen L ä cheln, bei dem Clara deutlich seine spitzen Eckzähne sehen konnte. „Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich freut, dich noch einmal wi e derzusehen. Nachdem ich eben schon dem garstigen Zwerg eine Le k tion erteilen durfte, die er hoffentlich nie wieder vergessen wird, so er denn diesen Tag überhaupt überleben sollte, wird es mir eine außero r dentliche Freude sein, auch dir all die netten Dinge heimzuzahlen, die du und deine hirnlosen Anhänger uns angetan haben.“
Sein süffisantes Lachen ließ Clara einen Schau d er über den Rücken laufen. Sie war nicht sicher, ob sie entsetzt war oder sich angezogen fühlte. Sie war schlichtweg fasziniert von dieser diabolischen Seite, die ihr wenige Tage zuvor noch Angst eingejagt hatte. Hier und jetzt war sie einfach nur froh und dankbar, dass er da war.
„ Wie wär’s? Soll ich auch mal einen Blick in dein tiefstes Inneres werfen?“, fragte er mit sichtlichem Genuss und grub seine Finger in das Fleisch über Saphiras Herz.
Sie schrie auf. Ihre weiße Robe färbte sich dunkelrot unter seinen Fingern. Um Himmels willen! Was tat er da? Das ging zu weit.
„ Dean, nein! Hör auf, bitte“, rief sie und zerrte an seinem Arm, um ihn zurückzuhalten.
Verwirrt sah er sie an. „Aber Clara, sie hat dir genauso wehgetan wie mir. Willst du denn keine
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