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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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melden können. Das wäre interessant geworden. Natascha, nehmen Sie denn gar kein Gulasch?«
    »Nein.«
    »Dann wenigstens ein Stück Brot?«
    »Danke, mir reicht ein Täßchen Tee.« Geziert schenkte Natascha sich ein.
    »Ich meine es ganz im Ernst, Renko.« Israel bediente sich mit Suppe und Brot. »Sie können nicht auf dem Schiff herumspazieren, als ob Sie einen Spezialauftrag aus Moskau hätten.« Er biß in eine Knoblauchzehe und wiegte nachdenklich den Kopf. »Es sei denn, Sie haben so einen Auftrag.«
    »Fasten Sie etwa, Natascha?« fragte Arkadi.
    »Ich halte nur ein wenig Diät.«
    »Und warum?«
    »Ich habe meine Gründe.« Wenn sie das Haar so straff unter die Mütze zurückgekämmt trug, kamen ihre Wangenknochen besser zur Geltung, und ihre dunklen Augen wirkten größer und weicher.
    Obidin saß neben Natascha und schaufelte sich reichlich Gulasch auf den Teller, wobei er kritisch den Fleischgehalt prüfte.
    »Ich habe gehört, die Genossen sind der Meinung, wir sollten da, wo wir Sina gefunden haben, nie wieder auf Fang gehen«, sagte er. »Aus Respekt vor den Toten.«
    »Lächerlich!« Bei der Erwähnung von Sinas Namen war ein harter Glanz in Nataschas Augen getreten. »Wir sind schließlich nicht alle religiöse Fanatiker. Und wir leben im Zeitalter der Moderne. Haben Sie je von einem so abergläubischen Unsinn gehört?« fragte sie Israel.
    »Und haben Sie schon mal von Kurejka gehört?« fragte Israel zurück. Ein Lächeln versteckte sich in seinem Bart. »Dorthin hat der Zar Stalin verbannt. Als Stalin dann ans Ruder kam, schickte er eine Armee von Häftlingen nach Kurejka, damit sie seine alte Hütte dort wieder zusammennagelten und einen Hangar ringsrum bauten, aus dem rund um die Uhr mehrere Scheinwerfer die Hütte sowie eine Marmorstatue von ihm bestrahlten. Ein riesiges Denkmal. Eines Tages, Jahre nach seinem Tod, wurde diese Statue heimlich umgestürzt und in den Fluß geworfen, und alle Schiffe machten danach einen Umweg, damit sie nur ja nicht über Stalins Kopf fuhren.«
    »Woher wissen Sie das?« fragte Arkadi.
    »Wie glauben Sie, fängt ein Jude es an, Sibirier zu werden?« fragte Israel zurück. »Mein Vater war am Bau des Hangars beteiligt.« Der Fabrikleiter biß ein Stück Brot ab. »Ich werde Sie nicht sofort melden«, sagte er dann. »Ein, zwei Tage gebe ich Ihnen noch.«
    Auf dem Weg zur Funkbude hörte Arkadi plötzlich eine Stimme singen, die der auf Sinas Kassette zum Verwechseln ähnlich klang. Die volltönende Stimme und die romantische Gitarrenbegleitung drangen aus dem Krankentrakt. Dr. Wainu war es wohl kaum, der da sang.
     
    »Eine Piratenbrigg setzt Segel In sturmgepeitschter Nacht.«
     
    Es war ein altes Seefahrerlied, wenngleich ein Matrose vermutlich schon so viel gebechert haben mußte, daß er nicht einmal mehr aufrecht um den Großmast herumgehen konnte, bevor ihm solch rührselige Schnulzen Freude machten.
     
    »Die Totenkopfflagge, sie flattert im Wind. Und unser Käptn singt dazu. Hier, Freund, trink noch ein Gläschen Rum, Dann singst auch du.«
     
    Als Arkadi das Sprechzimmer betrat, brach die Musik ab.
    »Verdammte Scheiße, ich dachte, es wäre abgeschlossen«, schimpfte Dr. Wainu, der herbeigeeilt kam, um Arkadi den Weg zu versperren. Arkadi sah gerade noch, wie das borschtrote Hinterteil Olimpiada Bovinas im angrenzenden Untersuchungsraum verschwand. Der Arzt trug einen Freizeitanzug und Slipper und sah, abgesehen davon, daß er die Schuhe vertauscht hatte, nur wenig derangiert aus. Als Paar paßten die Bovina und Wainu in Arkadis Augen ungefähr so gut zusammen wie eine Dampfwalze und ein Eichhörnchen.
    »Sie können doch nicht einfach so hier reinplatzen«, protestierte Wainu.
    »Nun bin ich aber schon mal hier.« Auf der Suche nach dem Sänger, den er von draußen gehört hatte, zwängte Arkadi sich an dem Arzt vorbei über den Korridor in den Operationssaal.
    Über den OP-Tisch war ein Laken gebreitet. Arkadi bemerkte, daß die Kiste mit Sinas persönlicher Habe noch immer auf einem Rollwagen in einer Ecke stand.
    »Das ist eine Arztpraxis!« Wainu vergewisserte sich, daß der Reißverschluß an seiner Hose hochgezogen war.
    Auf einem Stahltablett neben dem OP-Tisch standen ein Krug und zwei Gläser, die dem Geruch nach vermutlich Äthylalkohol enthielten. Daneben lag eine angebrochene Tafel Schokolade mit Cremefüllung. Arkadi fuhr mit der Hand über das Laken. Es war noch warm, wie die Motorhaube eines eben abgestellten Wagens.
    »Sie dürfen

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