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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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mit jenem Schmiß, der Sina offenbar zu eigen gewesen war, war Dynkas rote, wattierte chinesische Jacke. In fast allen ausländischen Häfen gab es schäbige Läden, die sich auf jene billigen Waren spezialisiert hatten, die russische Seeleute und Fischer sich leisten konnten. Oft lagen diese Läden in Armenvierteln, weit entfernt von den Docks, und man sah die Russen in Gruppen meilenweit dorthin pilgern, nur um das Geld fürs Taxi zu sparen. Eins der begehrtesten Souvenirs war eine Jacke wie diese, rot mit goldenen Drachen und Druckknopftaschen. Dumm war nur, daß dies Dynkas erste Seereise war und sie bisher noch keinen Landgang gehabt hatten. Mit ein bißchen mehr Kombinationsgabe hätte er auf den Spiegel verzichten können. Arkadi schämte sich jetzt tatsächlich.
    Als er die Jacke vom Bügel nahm, weiteten sich Nataschas Augen wie die eines Mädchens, das zum erstenmal einer Zaubervorstellung beiwohnt. »Und die hier?« fragte er. »Die hat Dynka sich wohl noch vor dem Tanzabend von Sina geborgt?«
    »Ja.« Und mit festerer Stimme setzte sie hinzu: »Dynka würde niemals etwas stehlen. Sina hat sich dauernd von anderen Geld geliehen und nie was zurückgezahlt. Dynka würde nie stehlen.«
    »Das ist doch meine Rede.«
    »Sina hat die Jacke nie getragen. Sie hat dauernd damit rumhantiert, aber an Bord hat sie sie nie getragen. Sie sagte, sie wolle sie aufheben für Wladiwostok.« Sichtlich erleichtert sprudelte Natascha die Worte heraus. Dem Schrank schenkte sie keine Beachtung mehr.
    »Herumhantiert?«
    »Ja, sie hat Nähte ausgebessert, hier und da was gestopft.«
    Arkadi kam die Jacke ganz neu vor. Er befühlte die Steppnähte und die gepolsterten Schulterstücke. Auf dem Etikett stand: »Hongkong. Rayon.«
    »Haben Sie ein Messer?«
    »Augenblick.« Natascha holte eines aus einer Schürze, die an der Tür hing.
    »Sie sollten Ihr Messer stets bei sich tragen«, hielt Arkadi ihr vor. »Sie wissen doch: >Seid immer gerüstet für den Notfall.««
    Er tastete die Wattierung an Rücken und Ärmeln ab, dann die Säume am Hals und am unteren Rand. Als er den Saum am Aufschlag aufschlitzte, fiel ein Stein von der Größe eines rautenförmigen Bonbons in seine Handfläche. Er faßte nach, und schon kollerten noch mehr Steine heraus, bis er ein ganzes Häufchen roter, hellvioletter und tiefdunkler Amethyste, Rubine und Saphire in der hohlen Hand hielt. Glitzernde, aber ungeschliffene Edelsteine, und, soweit Arkadi das beurteilen konnte, keine erstklassigen Stücke.
    Er schüttete die Steine in eine Tasche der chinesischen Jacke und machte den Druckknopf zu. Dann zog er sich die Gummihandschuhe von den Fingern.
    »Die Steine könnten aus Korea stammen, aber auch von den Philippinen oder aus Indien. Aber bestimmt gibt es solche Steine nirgends, wo wir gewesen sind, also muß Sina sie von einem anderen Schiff bekommen haben. Wir sollten froh sein, daß Dynka nicht versucht hat, mit dieser Jacke durch die Grenzkontrolle zu kommen.«
    »Arme Dynka!« Natascha seufzte angesichts der Vorstellung, wie ihre Freundin wegen Schmuggels verhaftet wurde. »Aber wie hätte Sina die Steine von Bord bringen wollen?«
    »Vermutlich hätte sie sie verschluckt, die Jacke wieder zugenäht und wäre damit von Bord gegangen, genau wie sie’s gesagt hat. Die Steine hätte sie dann später wieder eingesammelt.«
    Natascha war empört. »Ich wußte, daß Sina unverfroren war. Ich wußte, sie war eine Georgierin. Aber das …«
    Arkadi schlug zu, solange die Tschaika noch unter dem Eindruck seiner eingängigen Logik und seines glücklichen Zufallsfundes stand. »Sehen Sie, ich wußte nicht, daß Sina >unverfroren< war. Ich wußte bisher überhaupt nichts über die Mannschaft. Und darum brauche ich Sie, Natascha.«
    »Sie meinen, Sie und ich, wir sollten zusammenarbeiten?«
    »Warum denn nicht? Schließlich haben wir das schon ein halbes Jahr lang in der Fabrik getan. Sie handeln überlegt und haben starke Nerven. Ich vertraue Ihnen, genauso, wie Sie mir vertrauen können.«
    Sie warf einen scheelen Blick auf den Bikini und die Jacke.
    »Und wenn ich nicht mitmache?«
    »Nein, nein, nur keine Angst! Ich werde sagen, ich hätte die Sachen unter ihrer Matratze gefunden. Der Dritte Maat und ich, wir hätten da schon früher nachschauen sollen.«
    Natascha strich sich eine feuchte Locke aus der Stirn. »Ich gehöre nicht zu denen, die ihre Kameraden verpfeifen.«
    Sie hatte hübsche Augen, so schwarz wie die von Stalin, aber trotzdem hübsch.

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