Polarrot
nur weil ich Jude bin und der österreichische Wahnsinnige mal von einem Juden übers Ohr gehauen wurde. Und darüber soll ich mit Ihnen um ein halbes Kilo Gold feilschen?“
„Eben nicht“, sagte Breiter kaltherzig. „Sehen Sie, Herr Mayer, ich kann nichts für Ihre Geschichte, Sie können nichts für meine. Ich kann nichts dafür, dass ich nicht im Krieg war, ich kann nichts dafür, dass Sie im Krieg waren und ich kann diese ganzen Geschichten aus dem Krieg nicht mehr hören. Immer der Krieg, der an allem schuld sein soll. Und ich darf dann die Rechnung bezahlen – nein, Herr Mayer, das habe ich schon einmal mitgemacht und das werde ich kein zweites Mal mehr mitmachen. Also anderthalb Kilo oder suchen Sie sich einen Anderen.“
Mayer schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.
„Alles, alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, zählt nichts mehr. Es ist nur noch bedeutsam, dass ich Jude bin. Sogar für Sie.“
Breiter überlegte sich bereits, ob er ein neues Kässeli für das Geld eröffnen oder den Inhalt aller Kässelis zusammennehmen und eine Wohnung für sich und Charlotte kaufen sollte. Im Großbasel, mit Sicht auf den Rhein. Aber vielleicht kennt Mayer ja noch andere Juden, die das gleiche Problem haben und dann wäre noch mehr zu holen, die Wohnung würde größer, die Einrichtung wertvoller. Es würde seine erste Einrichtung werden, er hatte ja immer in möblierten Zimmern gelebt. Was bräuchte er überhaupt? Charlotte müsste helfen. Aber das würde sicher teurer. Also bräuchte er noch mehr Geld.
„Seien Sie froh, dass ich nicht zwei Kilo verlange, auch das wären immer noch keine zehn Prozent.“
Mayer seufzte. „Ein Kilo.“
„Ich schlage Ihnen folgendes vor: ein Kilo, aber Sie bringen mir mindestens drei Adressen anderer Juden, die auch Geld oder Gold in die Schweiz bringen wollen. Der Preis für die anderen wäre zehn Prozent. Bringen Sie die drei weiteren nicht, bekomme ich zwei Kilo.“
„Ja, aber ich gehe ja so schnell wie möglich nach Amsterdam?“
„Ja, dann machen Sie halt so schnell wie möglich.“
„Und das Gold?“
„Ich bringe es auf eine jüdische Bank.“
„Nein, auf keinen Fall. Vergraben Sie es.“
„Das auch noch.“
„Ja. So habe ich gleich Zugriff, wenn ich in die Schweiz komme.“
„Und wo?“
„Auf dem Stationenweg zur St. Anna-Kapelle in Mariastein. Kennen Sie den?“
„Nein.“
„Charlotte kennt ihn. Bei der achten Station, die weinenden Frauen, glaube ich, auf einer leichten Anhöhe am Waldrand. Das achte Kreuz steht genau zwischen zwei Bäumen. Links davon ist ein kleiner Grenzstein. Es ist alles ein wenig heruntergekommen, da die Mönche weg sind. Hinter dem Kreuz beginnt der Wald und der fällt steil hinunter. Also Achtung.“
„Ein Kilo und drei Adressen?“
„Ja, ja, ja! Gehen Sie einen Schritt hinter das Kreuz, dann nach links hinter den Baum und einen weiteren nach links. Dort vergraben, da hat es wahrscheinlich nicht viel Wurzelwerk, etwa einen Meter tief.“
„Gut, bei den weinenden Frauen. Einen Schritt nach hinten, links zum Baum, einen weiteren Schritt, einen Meter tief – ein Kilo und drei Adressen. Wenn keine Adressen, dann zwei Kilo?“
„Ja, verdammt nochmal. Falls das Kreuz auch nicht mehr stehen sollte, vergraben Sie das Gold hinter der St. Anna-Kapelle. Eingang, drei Schritte Richtung Wald, drei Schritte nach links.“
„Gut, St. Anna, drei, drei. Mmmh, Herr Mayer, darf ich Sie was fragen?“
„Wundern Sie sich über den Ort des Verstecks?“
„Ja.“
„Sehen Sie, man braucht kein Jude sein, um Jude zu sein. Genügt das?“
Breiter stand wieder auf, schaute auf die Rollen im Glaskästchen, dachte über etwas nach, von dem er nicht wusste, wie man darüber nachdenkt, drehte sich wieder zu Mayer und sagte: „Vier Kilo nehme ich gleich mal mit.“
„Danke. Wann kommen Sie wieder?“
„Also wenn ich immer nur vier Kilo mitnehmen soll, dann wird das schon drei Wochen dauern.“
„Das passt, so kann ich alles vorbereiten.“
„Gut, dann geben Sie mir jetzt die ersten zwei Barren.“
„Herr Breiter, kann ich Ihnen vertrauen?“
„Sie haben ja Charlotte. Und ich denke für Charlotte mit.“
Es ging alles gut. Breiter versteckte die beiden Barren in einem Kübel mit beanstandetem Polarrot, wurde an der Grenze sowohl von den Deutschen wie Schweizer Zollbeamten durchgewinkt, fischte die Barren aus der Farbe, wusch sie, nahm sie mit heim, wickelte sie in ein Tuch und versteckte sie hinter
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