Polizei-Geschichten
längst
wegtransportirt haben.“ —
Mathilde erschrak heftig über diese Worte. Mit zittern-
der Stimme erzählte sie nun, wie sie früher in Kondition
gestanden, und zeigte das Zeugniß ihrer Wirthsherrschaft
über ihre tadellose, treue und redliche Führung.
„Sie selbst wollten mich gern wieder zu sich nehmen,“
sagte sie fester in ihrem Selbstbewußtsein, „aber ich wollte
es nicht eingehen, weil ich mich dann hätte von meinem
Kinde trennen müssen.“ —
Der Polizeibeamte schien allmählig doch von der rüh-
renden, so ganz mit der Welt unbekannten Einfachheit der
jungen Mutter erweicht zu werden, und fragte milder:
„Aber können Sie denn von dem Vater des Kindes keine
Unterstützung bekommen, denn Sie sehen doch ein, daß
Sie irgend eine Unterhaltsquelle haben müssen?“ —
Daran hatte sie nicht gedacht, sie wußte gar nicht einmal,
wo der Vater war. Was konnte sie das bisher auch kümmern?
„Das ist schlimm, mein Kind!“ sagte der Beamte theil-
nehmend. „Wenn Sie keine Erwerbsquelle nachzuweisen
vermögen, so ist anzunehmen, daß Sie und Ihr Kind dem-
nächst der Gemeinde zur Last fallen werden, und meine
Instruktionen lauten bestimmt dahin, Sie schon in drei
Tagen, falls Sie bis dahin keinen Dienstschein beibringen,
nach Ihrer Heimath zu verweisen. Es ist daher das Beste,
was ich Ihnen nur rathen kann, daß Sie Ihr Kind in Pflege
geben und sich wieder eine Stelle suchen. — Kommen Sie
dann zu mir, damit ich Ihnen den Schein ausstelle.“ —
Mit diesen Worten begab er sich fort, Mathilden in der
tödtlichsten Verzweiflung ihrer rathlosen Seele zurück-
lassend. Sie sollte ihr Kind fremden Leuten überlassen, —
jetzt, wo sie es täglich lieber gewonnen hatte — Leuten,
die kein Interesse an ihm nehmen — die sein zartes Le-
ben vielleicht durch schlechte Behandlung einer unglückli-
chen Zukunft oder gar dem Tode aussetzen würden! Wie
hätte sie das über sich vermocht? Und doch — wenn sie
sich nicht dazu entschloß, was hatte sie selbst zu erwar-
ten? Der Gedanke an ihre Eltern erfüllte sie zum erstenmal
mit Entsetzen, — und würde ihr, der verachteten, von der
Welt verstoßenen Sünderin nicht auch das väterliche Haus
verschlossen sein? Wer vermochte ihr einen Ausweg aus
dieser Bedrängniß zu zeigen?
Sie machte der Alten die bittersten Vorwürfe und gab
ihr Schuld, sie in diese Lage gebracht zu haben. Die Wä-
scherin aber erwiederte ihr gelassen:
„Das ist ein Unglück, für das Niemand etwas kann,
und das Ihnen vielleicht ebensowohl überall anders pas-
sirt wäre. Aber nicht überall sonst hätte man Sie aufge-
nommen, wie ich es gethan habe, und Sie sollten nur still
schweigen, und mir dankbar sein.“ —
Das Mädchen mußte das wohl einsehen, denn sie
schwieg und sank trübsinnig auf einen Stuhl.
„Uebrigens nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen, und
beruhigen Sie sich nur,“ tröstete die Alte weiter. „Vorläufig
mögen Sie immer noch bei mir bleiben, es wird sich wohl
noch ein Ausweg finden.“ —
Was für ein Ausweg? Mathilde blieb den Tag über dü-
ster auf ihrer kleinen, einsamen Kammer, und überlegte
und sann hin und her, was sie beginnen sollte, aber ihr
Denken war all umsonst. Von Zeit zu Zeit nahm sie ihr
Kind auf, und küßte und herzte es mit der Heftigkeit ihrer
schmerzlich aufgeregten Gefühle. Es war, als ob in dem Ver-
such, sie von ihm zu trennen, ihre Mutterliebe nur festere
Wurzeln geschlagen hätte. Dazwischen rollten ihre heißen
Thränen wie feurige Tropfen ihres gequälten Herzens auf
die Wangen der Kleinen. Nur wenn das Kind schlief, ging
sie in ruheloser Angst auf und nieder und rang ihre Hände
in rathloser Verzweiflung.
Am Abend kam die Alte wieder auf die Kammer des
Mädchens. Das Gemach war dunkel, nur von den Straßen-
laternen und den Lichtern der gegenüberliegenden Häuser
schwamm ein weiches Dämmerlicht durch das Fenster. Mat-
hilde lag mit aufgelöstem Haar, den Kopf in die Hand ge-
stützt und halbaufgerichtet auf dem Bett, und bewachte
den Schlaf ihres Kindes. Die Alte setzte sich vor das Bett
und sprach lange mit flüsternder Stimme zu dem Mädchen.
Plötzlich fuhr Mathilde in die Höhe, als ob sie eine Viper
gestochen, und richtete einen funkelnden Blick auf die Re-
dende. Die Alte aber beruhigte sie wieder, und der flüsternde
Ton ihrer Stimme, wie ihre Geberden konnten von angele-
gentlicher Theilnahme zeugen. Sie sprach sehr lange
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