Polt.
weiter?«
»Jetzt kommt der Feigling ans Licht. Natürlich hab ich den Rene Geiger gekannt, gut auch noch. Wir waren fast befreundet miteinander. Was den Wein angeht, hat jeder hier im Wiesbachtal von ihm lernen können, und nicht nur im Wiesbachtal, davon bin ich überzeugt. Seitdem lass ich zum Beispiel viel mehr Blätter auf den Weißweinstöcken, damit die Sonne nicht gar so aggressiv durchkommt, und ich zieh als Assimilationsflächen Laubwände hoch. Im Presshaus lass ich den Traubensaft länger ohne Hefe auf der feinen Maische liegen - und dann, im Keller … Doppelsalzentsäuerung, damit auch die Apfelsäure weniger wird, spezielle Bakterienkulturen, Reinhefen … Doch was red ich, ist vielleicht wichtig für einen Weinbauern, nicht für einen Ehemann. Und für den, für den hat es irgendwann einen Verdacht gegeben, was red ich, Simon, eine Gewissheit, unerträglich für mich. Irgendetwas war zwischen der Birgit und ihm, auch wenn sie nicht miteinander geschlafen haben, wie sie dir heute gesagt hat. Aber es war nichts Banales wie mit dem Rudi, sondern was Ernsthaftes, Tiefes. Natürlich war ich viel zu eitel als Mann, um ihm das Haus zu verbieten oder mit der Birgit darüber zu reden. Ich war scheißfreundlich zu ihm, hab zugeschaut, halb verrückt vor Angst und Wut, und ich hab gelitten und gelitten. Dann war er plötzlich weg, knapp bevor es mir zu viel geworden ist, Gott sei Dank.«
»Und auf einmal war er wieder da, nach vielen Jahren.«
»Ja. Die Birgit hat irgendwen davon reden gehört. Ich hab ihn allerdings erst als Leiche wieder gesehen, gemeinsam mit dir. Und jetzt sag ich dir etwas, Simon: Hätt ich den Hund in der Küche mit der Birgit angetroffen, oder womöglich sogar woanders - ich hätt ihn in der Luft zerrissen, zu einem Krüppel geschossen und dann noch mit Füßen getreten.«
»Du also nicht. Wer dann?«
»Das soll der Kollege Primi herausfinden. Ist es schlimm, wenn ich dir sage, dass es mich zutiefst befriedigt und beruhigt, dass der Geiger krepiert ist?«
»Kann ich verstehen, irgendwie.«
»Gut. Aber etwas kann ich nicht verstehen: Meine Feigheit nämlich. Ich hätte dir vom ersten Augenblick an die ganze Wahrheit sagen müssen und darauf vertrauen, dass du als guter Gendarm nach dem ersten Schrecken den Dingen schon das richtige Gewicht geben wirst. Dann war ich heute glaubwürdiger und du müsstest keinen Gedanken daran verschwenden, ob ich nicht schon wieder lüge. So aber hab ich dir das Leben schwer gemacht und der Birgit unerträglich. - Was tun wir jetzt, Simon?«
»Erst einmal die Geschichte abschließen. Angenommen, der Primi findet alles heraus, was du mir erzählt hastwie stehst du dann da?«
»Mitten im Leben, Simon. Es ist doch wirklich grotesk, dass ich schon wieder dem Rudi dankbar sein muss - er mir übrigens auch. Erst heut hab ich erfahren, dass die Fachleute die Tatzeit verlässlich eingrenzen konnten. In der Nacht also, die für Selbstmord oder Mord in Frage kommt, haben ich und der Rudi in meinem Keller schwer gesoffen, und zwar bis zum Morgengrauen. Dafür gibt es sogar Zeugen, und der Rudi kann nichts sagen als die Wahrheit.«
»Und seine Handschrift im Notizbuch?«
»Mir unerklärlich. Wird schon noch herauskommen. Es ist mir so was von gleichgültig. Die Birgit muss wieder her. Es gibt nichts Wichtigeres in meinem Leben!«
»Also, du hast ihre Freunde und Freundinnen angerufen. Wirklich alle?«
»Wirklich alle.«
»Auch den Rudi?«
»Nein. Ich hab mich nicht getraut, mit ihm zu reden. Keine Ahnung, wie der auf so eine Nachricht reagiert.«
»Dann red ich mit ihm. Darf ich?«
»Da fragst du noch! Tu, was du willst, Simon, ohne Rücksicht auf mich, du hast freie Hand. Und wenn du glaubst, dass die Polizei helfen muss, sag’s mir und ich mach die Anzeige. Tu, was du kannst, bitte! Die Birgit ist eine starke Frau. Wenn die wegrennt, droht Unheil.« Sailer hatte Tränen in den Augen.
»Schon gut. Magst bei mir bleiben? Du kannst auf der Polsterbank schlafen, wenn dich der Kater lasst.«
»Nein, ich muss zurück. Was ist, wenn sie doch noch kommt? Und, Simon: danke. Du hast was gut bei mir, viel, jede Menge.«
»Morgen wissen wir hoffentlich mehr.«
Herbergssuche
Am nächsten Morgen rief Polt Frau Habesam an und bat sie um einen freien Tag. Von Birgit Sailers Verschwinden sagte er nichts, weil er Gerede vermeiden wollte»
An ein Gespräch mit Weinwurm war allerdings erst gegen Mittag zu denken, wenn der Rudi den ärgsten Rausch
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