Poltergeist
auf.«
»Dann mach schon, erzähl schneller.«
»Jemand ist gestorben, und ich möchte, dass du ins Leichenschauhaus gehst und sicherstellst, dass er wirklich tot ist.«
»Wer soll das sein? Gehört er zu dir oder zu mir?«
»Es war ein alter Mann. Ein ganz normaler alter Mann. Er sollte nicht sterben, aber ich habe einen Fehler gemacht und …«
»Hast ihn getötet?« Meine Stimme klang auf einmal kalt und angewidert. Ich mochte Cameron, auch nachdem ich herausgefunden hatte, was es bedeutete, als Vampir leben zu müssen. Ich hatte immer gehofft, dass es ihm irgendwie gelingen würde, nicht so wie die anderen zu werden, auch wenn ich tief im Innersten gewusst hatte, wie sinnlos diese Hoffnung war.
»Nein!«, protestierte Cameron lautstark. Er klang aufgewühlt. Zumindest das war ihm von seinem früheren Menschsein geblieben. »Er ist einfach gestorben. Er hatte
Probleme mit dem Herzen, aber woher sollte ich das denn wissen? Carlos hat versucht, mir etwas Neues beizubringen. Ich habe das irgendwie falsch eingeschätzt, und der Mann war zu schwach. Und da war er plötzlich tot. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und während ich noch darüber nachdachte, hat jemand die Leiche entdeckt. Die Polizei hat sie dann ins Leichenschauhaus gebracht. Ich schaffe es nicht mehr, dorthin zu kommen, ehe die Sonne aufgeht. Deshalb musst du das für mich tun und herausfinden, ob er tot oder einer von uns geworden ist.«
»Was?«
»Na, du weißt schon. Ob er als Vampir zurückkehrt. Oder etwas … etwas anderes. Carlos ist jedenfalls verdammt wütend auf mich.«
»Und warum soll ich das für dich tun? Carlos kennt doch bestimmt genügend andere Leute, die er ins Leichenschauhaus schicken könnte.«
»Das schon. Aber es war mein Fehler, und deshalb muss ich mich auch darum kümmern. Carlos darf wegen mir keine Probleme mit Edward bekommen. Wenn Carlos jemanden schickt, der nachsehen soll, wird das bald die Runde machen, und dann könnte es ziemlich unangenehm werden.«
»Ich dachte, Carlos und Edward verstehen sich jetzt wieder.« Edward war der Anführer der Vampire von Seattle. Er und Carlos hatten sich nach einer Fehde, die Jahrhunderte gedauert hatte, wieder angenähert. Damals war ich gerade damit beschäftigt gewesen, mich mit Camerons Problemen herumzuschlagen.
»Es ist eher eine gewisse Entspannung eingetreten. Von Versöhnung kann keine Rede sein«, erwiderte Cameron. »Mann, Harper, ich habe keine Zeit mehr. Bitte sag zu! Ich zahle dir, was du verlangst, und du hast dann auch etwas
gut bei mir – bei uns beiden. Alles, was ich von dir möchte, ist, dass du heute früh in die Leichenschauhalle gehst und nachsiehst, ob der Typ tot ist. Dann rufst du mich heute Abend an und lässt es mich wissen. Bitte!«
Ich seufzte. »Und wie soll ich das feststellen?«
»Du weißt doch, wie ein Vampir im Grau aussieht. Für die meisten sieht er tot aus, aber doch nicht für dich. Wenn er tot ist – richtig tot, meine ich -, dann ist er einfach nur kalt, so wie jeder andere auch.«
»Könnte er denn noch am Leben sein?«
Cameron zögerte einen Moment. »Du kannst mir glauben, Harper. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er tot ist. Ich will nur wissen, ob er sich plötzlich aufrichtet und jemanden zu Tode erschreckt oder eben nicht.«
Na super. Ich seufzte und ließ mir den Mann beschreiben. Natürlich hoffte ich inbrünstig, dass er tatsächlich tot war – und das auch blieb. Ich hatte keine Ahnung, wie man einem Vampir den Garaus machte. Außerdem bezweifelte ich, dass sich die Gerichtsmediziner besonders begeistert zeigen würden, wenn ich bei ihnen herumexperimentierte, bis ich es herausfand.
Ich sagte also zu, verabschiedete mich dann und legte auf. Am besten machte ich mich gleich auf den Weg ins Leichenschauhaus. Zu viel Zeit sollte ich nicht verstreichen lassen. Außerdem wollte ich gegen Ende der Nachtschicht eintreffen, wenn dort weniger Leute waren und die Besseres zu tun hatten, als mir auf die Finger zu sehen.
Ich betrachtete mich im Spiegel und stellte fest, dass die Klamotten, die ich trug, schmutzig waren. Nirgends konnte ich eine frische Jeans entdecken, und Zeit zum Waschen hatte ich auch keine.
Leise vor mich hin fluchend, duschte ich hastig und holte
eine Hose aus einem feinen Wollstoff aus dem Schrank, die ich mir vor einiger Zeit einmal ganz spontan gekauft hatte. Dazu wählte ich einen Kaschmirpulli, ein Weihnachtsgeschenk meiner Mutter. Es war ein hübsches Outfit, aber mir graute vor der Rechnung
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