Poltergeist
frühzeitig an Alzheimer litt und Mara meine Betreuerin war.«
»Ich dachte, manchmal käme deine Mutter zum Babysitten, um euch beiden zwischendurch mal ein paar freie Stunden zu ermöglichen.«
Ben schüttelte den Kopf, während das Poltern immer lauter wurde. »Das hat sie schon lange nicht mehr getan. Sie ist gestürzt und hat sich das Bein gebrochen.«
Ich sah ihn entsetzt an. »Nicht wegen Brian – oder?«
Ben ging zur Tür. »Nein, das nicht. Sie ist im Regen ausgerutscht. Aber zum Glück ist sie eine zähe alte Dame mit starken Knochen, sodass es nicht allzu schlimm ist.«
Ich hörte Brian auf der anderen Seite der Tür »Graahh, graah!« rufen. Dann schlug er mit voller Wucht gegen das Holz. Ben riss die Tür auf, und Brian stolperte ins Zimmer.
»Graahh!«
Ben versuchte streng dreinzublicken, wirkte dadurch aber nur so, als ob er schielen würde. »Enfant horrible!«
Brian ließ sich daraufhin auf den Boden fallen und rollte kichernd durchs Zimmer. Es sah nicht so aus, als ob Ben mit seinem Tadel viel erreicht hatte.
»Vielleicht solltest du lieber Russisch sprechen«, schlug ich ihm vor.
»Leider hat meine Mutter bereits begonnen, ihm das beizubringen. Französisch stellt meine letzte Zuflucht dar, wenn ich so richtig wütend bin, auch wenn meine Grammatik dann ziemlich zu wünschen übrig lässt. Bald werde ich wahrscheinlich Finnisch oder eine andere Sprache lernen müssen, um nicht von ihm eingeholt zu werden. Wie lange braucht man wohl, bis man Urdu kann?«
Ich wusste nicht, ob er die Frage tatsächlich ernst meinte. »Vielleicht solltest du es erst einmal mit Küchenlatein versuchen.«
Ben hob seinen Sohn hoch. »Vielleicht könnten wir auch Nashorn-Latein probieren. Wenn man jemanden wirklich derartig verzaubern könnte, würde ich Mara bitten, ihn in ein Nashorn zu verwandeln.«
Brian lachte begeistert auf. »Graahh!«, rief er und klatschte in die Hände.
Ich folgte den beiden die Treppe hinunter und enthielt mich jeglichen Kommentars darüber, was auf dieser Welt nun eigentlich möglich war und was nicht. »Sieht ganz so aus, als bräuchtest du gar keine Hexe, um den Jungen zum Nashorn werden zu lassen.«
Brian gab seinem Vater einen schmatzenden Kuss auf die Wange und wand sich dann am Fuß der Treppe aus seinen Armen. Er rannte durch den Flur zum Wohnzimmer, erneut ganz und gar in sein Nashornspiel vertieft.
»Wann wird er das wohl endlich wieder sein lassen?«, seufzte Ben erschöpft. »Ich glaube, ich sollte jetzt mit ihm in den Park, sonst wird er heute überhaupt nicht mehr müde. Hast du Lust mitzukommen? Oder willst du diesen Zoo lieber hinter dir lassen?«
Ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen, als ich antwortete. »Ich sollte besser wieder an die Arbeit zurück. Allerdings habe ich noch zwei Fragen.«
Ben begann dem Nashornjungen hinterherzulaufen, während er mir über die Schulter zurief: »Was für Fragen?«
»Als Erstes hätte ich gern gewusst, warum Glas, vor allem verspiegeltes Glas, das Grau filtert?«
»Ich verstehe nicht ganz. Wie meinst du das?« »Ich meine, dass ich weniger Details im Grau sehe, wenn ich durch eine Scheibe blicke. Wenn diese Scheibe auch noch verspiegelt ist, scheint der Filter stärker zu wirken, und mehrere Scheiben hintereinander lassen mich kaum mehr etwas erkennen. Und nun hätte ich gerne gewusst, warum das so ist!«, rief ich ihm hinterher.
Ben erwischte endlich seinen Sohn am Kragen und hob ihn hoch, um ihn dann in den Flur hinauszutragen, wo er
ihm einen kleinen Mantel anzog. Er griff nach einer Kinder-Laufleine, die wie ein Geschirr für Hunde aussah. »Okay. Du willst also hinaus und rennen. Brauchst du das hier, oder hängst du Daddy diesmal nicht so schnell ab?«
Brian betrachtete die Leine und schürzte seine winzigen Lippen. »Nicht Hund. Nashorn!«
Ben kniete sich vor Brian auf den Boden. »Ecoute, mon petit Nashorn. Entweder du hältst Daddys Hand, bis wir in den Park kommen, oder du bekommst die Leine. Ich will nicht, dass du wieder ein Verkehrschaos auslöst. Verstanden?«
Brian sah ihn todernst an. »Okay.«
»Gut – dann hältst du also den ganzen Weg bis zum Park meine Hand?«
»Ja.«
»Okay.« Ben stand auf und nahm Brian an der Hand. Wieder warf er mir einen Blick über die Schulter hinweg zu, während ihn sein Sohn zur Haustür zerrte. »Was wolltest du noch einmal wissen? Ach ja, ob Glas wie ein Filter funktioniert. Es gibt sehr viele Volksweisheiten über die Wirkung von Spiegeln und Silber auf
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