PopCo
einmal schluckte. Wäre es ein ruhiger Tod? Ein schläfriger, schmerzfreier Tod? Oder
einer voller Verfolgungswahn und Ängsten? Ich schraube das Fläschchen mit dem Vicodin auf und betrachte die makellos weißen
Tabletten darin. Etwas ernsthafte Schmerzlinderung kann vielleicht gar nicht schaden. Ich wollte das Zeug zwar nicht haben,
aber wo es schon mal da ist, kann ich es eigentlich auch ausprobieren. Nur eine. Vielleicht dämpft es ja wirklich die Lust
aufs Rauchen. Oder nein, war das nicht das Valium?
Es klopft, und ich zucke zusammen. Ich wühle mich unter meinem Medikamentenberg hervor und öffne die Tür. Ben kommt ins Zimmer.
Er sieht müde aus.
«Ach du Scheiße», sagt er, als er die vielen Medikamente sieht. «Wo kommt denn das alles her?»
«Ich hatte Besuch vom Todesdoktor», sage ich, während ich wieder ins Bett klettere. «Der offizielle PopCo-Firmenarzt oder
so was. Georges hat ihn mir geschickt.»
Glücklicherweise geht Ben nicht weiter auf Georges ein.Stattdessen setzt er sich auf den Bettrand und sieht sich die diversen Tablettenpackungen an.
«Scheiße. Das ist ja Vicodin. Davon wird man total schnell abhängig. Du hast doch hoffentlich noch nichts davon genommen,
oder?»
Ich schüttele den Kopf. «Nein. Eigentlich wollte ich das auch alles gar nicht haben, aber er hat mir immer nur noch mehr gegeben.
Ich weiß gar nicht, was ich jetzt damit anfangen soll. Vielleicht spüle ich einfach alles das Klo runter.»
«Nein. Ich bringe das ganze Zeug in die Apotheke, die können es richtig entsorgen. Wir wollen doch schließlich nicht, dass
das alles ins Trinkwasser kommt.» Ben legt die Stirn in Falten. «Mein Gott, was für ein Gauner. Wahrscheinlich kriegt er für
jedes Produkt, das er verschreibt, Provision vom jeweiligen Pharmakonzern. Muss schon super sein, als Arzt bei einer Firma
zu arbeiten. Man verschreibt so viel von dem Zeug, wie man will, weil man weiß, dass deren riesige Buchhaltungsabteilung die
Rechnung schon bezahlen wird, ohne unangenehme Fragen zu stellen, und dann bekommt man noch ein nettes Zubrot von den Pharmafirmen.»
Er greift nach der Packung mit dem Inhalator. «Hast du Asthma?», fragt er mich besorgt.
«Nein! Das habe ich ihm auch gesagt, aber …»
«Heute hat wirklich jeder Zweite einen Inhalator. Dabei ist es furchtbar ungesund, solche Medikamente zu nehmen, wenn man
sie nicht wirklich braucht. Großer Gott.»
Ben wirkt zusehends aufgebrachter, doch nach ein paar weiteren Sekunden finsteren Stirnrunzelns sieht er mich an und lacht.
«Entschuldige. Ich habe wohl zu viele Bücher über Verschwörungstheorien gelesen. Schieb’s auf den Job und die ganzen blödsinnigen
Recherchen, die ich dafür machen muss.»
«Aber du hast ja recht», sage ich. «Das klingt alles völlig logisch.»
«Aber es ist so furchtbar deprimierend.»
Jetzt muss ich grinsen. «Oh, wenn du depressiv bist, habe ich ganz sicher was für dich. Wie wär’s mit einer Valium? Oder vielleicht
ein bisschen Speed?»
«Führ mich nicht in Versuchung. Es ist noch gar nicht lange her, da hätte ich mich mit Begeisterung auf diese Packungen gestürzt.
Vor allem auf das Speed. Lass mal sehen.» Er begutachtet die Packung. «Oh ja. Das dürfte für ein paar ganz lustige Programmiernächte
gut sein. Mmm.»
Ich nehme ihm die Packung wieder weg.
«Und was ist passiert?», frage ich. «Warum hast du …»
«Damit aufgehört, meinst du? Keine Ahnung. Vielleicht war ich einfach zu alt dafür.»
«Wie alt bist du eigentlich?» Mir wird plötzlich klar, dass ich nicht einmal das über ihn weiß.
«Einunddreißig.» Er seufzt.
«Das ist doch noch nicht alt», sage ich.
«Schon, aber … Na ja. Vielleicht war es auch nicht nur das Alter.»
«Sondern?»
«Ich weiß auch nicht. Alles Mögliche … Wie soll ich das erklären? Vor ein, zwei Jahren hat sich für mich so einiges geändert. Ich habe mit den Drogen aufgehört,
gesünder gelebt, angefangen, mich vegan zu ernähren.» Er schaut abwesend an mir vorbei auf die Wand. «Ich … Ich will dir jetzt gar nicht die ganze Geschichte erzählen, aber … Bei den Recherchen für die
Sphärenwelt
bin ich auf ein paar Bücher gestoßen, die meine Sicht auf die Welt ziemlich verändert haben. Kritische Berichte über Umweltschutz,
Tierschutz, die Auswirkungen der Fastfood-Industrie und von Großkonzernen. Das kam alles von der Grundidee der
Sphärenwelt
, dass es diese böse Firma gibt, die den Leuten
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