PopCo
vor sich geht, erzählt sie meinen Großeltern ziemlich lange davon, was sie dort erlebt hat. Als
wir mit dem Hauptgang fertig sind, zündet sie sich eine lange schwarze Zigarette an und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück,
als würde nichts auf der Welt sie belasten. Warum kann ich mich nicht auch so fühlen? Mein Großvater serviert seine berühmte,
selbstgebackene Schwarzwälder Kirschtorte, und alles ist so heimelig und gemütlich, dass ich am liebsten losheulen würde.
Ich möchte losheulen und ihnen allen erklären, dass ich nie, nie wieder in die Schule will.
«Und, Peter», sagt Jasmine, «was tut sich in der Welt der Kryptographie?»
«Du meinst wohl die Kryptoanalyse», sagt er lachend.
Jasmine lacht mit. «Ich konnte mir diese ganzen Bezeichnungen noch nie merken. Sagen wir doch Codeknacken, das ist am einfachsten.
Also, wie läuft es damit?»
«Bestens. Ich – oder besser gesagt, Alice und ich –, wir arbeiten gerade an einem besonders faszinierenden Projekt. Nach dem Essen zeige ich es dir. Es ist das sogenannte Voynich-Manuskript …»Seine Stimme verklingt, während alle Synapsen in meinem Kopf zu singen anfangen.
Alice und ich, Alice und ich …
Mein Großvater hat es als unser gemeinsames Projekt bezeichnet! Ich könnte platzen vor Stolz. Als ich seine Stimme wieder
höre, ist er gerade im Begriff, das Thema zu wechseln.
«Aber da du auch nach der Kryptographie gefragt hast», sagt er zu Jasmine, und das Lachen schimmert noch in seinen Augen,
«will ich dir die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet natürlich nicht vorenthalten.»
«Das wäre dann also – Codes schreiben, nicht Codes knacken, oder?» Jasmine lächelt. «
-graphie
kommt vom griechischen Wort
graphein
, schreiben.»
«Ganz genau. Hast du schon mal von der Public-Key-Kryptographie gehört, dem RS A-Verfahren ?»
Jasmine muss wieder lachen. «Ach, Peter, wann hätte ich je von irgendeiner wissenschaftlichen Errungenschaft gehört, wenn
nicht über dich oder Beth? Na los, sag schon. Das hört sich ja irrsinnig kompliziert an.»
Mein Großvater beginnt mit einer kleinen Einleitung, in der er die Grundprobleme der Kryptographie umreißt und Jasmine erzählt,
dass sich historisch gesehen jede noch so unentschlüsselbar scheinende Chiffre doch irgendwann der Kryptoanalyse beugen musste.
Er erzählt von Charles Babbage, der vor mehr als hundert Jahren den Vigenère-Code geknackt hat, und von den Wissenschaftlern
in Bletchley Park, die dem Enigma beigekommen sind. Das führt zu einem Exkurs, und während wir unseren Kuchen essen, reden
die drei über den Krieg, und meine Großmutter erzählt ein wenig von Turing und Bletchley Park.
«Tja.» Mein Großvater steht auf, um Kaffee zu machen. «Die Kryptographen stehen also immer vor der Herausforderung, einen
Code zu entwickeln, der sich nicht entschlüsseln lässt. Seit das Enigma gefallen ist, sind sie endgültig am Zug. Alice,erzähl Jasmine doch mal, was das größte Problem der Kryptographie ist.»
Was, ich? Ich schlucke. Was ist das größte Problem der Kryptographie? Ich zwinge mein Gehirn in den Rückwärtsgang und gehe
all die vielen Gespräche durch, die wir zu dem Thema geführt haben.
«Das Schlüsselverteilungsproblem?», frage ich unsicher.
«Siehst du? Ich habe doch gesagt, sie ist ein Genie», ruft mein Großvater. «Genauso ist es. Das Schlüsselverteilungsproblem.
Die meisten Geheimtexte werden mit Hilfe desselben Schlüssels ver- und entschlüsselt, der oft nur aus einem Gemisch von Zahlen
und Buchstaben und manchmal auch aus einem Wort besteht. Ich könnte jetzt beispielsweise beschließen, mit dir über die Vigenère-Chiffre
oder über eine monoalphabetische Chiffre zu kommunizieren. Wenn wir beide den Schlüssel kennen – sagen wir mal, das Wort ‹Lapsang› –, dann wäre das kein Problem. Ich verwende das Wort, um die Nachricht zu verschlüsseln, und du benutzt dasselbe Wort zum
Entschlüsseln.»
«Wie verschlüsselt man denn eine Nachricht mit dem Wort ‹Lapsang›?», fragt Jasmine.
Meine Großmutter lächelt. «Frag das lieber nicht, sonst sitzen wir die ganze Nacht hier.»
Da hat sie allerdings recht, und wir müssen alle lachen.
Damit Jasmine die Sache etwas besser versteht, demonstriert mein Großvater ihr trotzdem kurz, wie man ein Schlüsselalphabet
mit dem Wort «Lapsang» . (allerdings ohne das zweite A) beginnen lassen und anschließend alle anderen Buchstaben des Alphabets rückwärts
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