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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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uns, und man sieht seine fauligen Zähne.
    Emma und ich wechseln einen Blick und flüchten dann kichernd nach oben. Dort ist niemand außer uns. Es riecht nach Regen und
     nach Schulspinden.
    «Hier könnte man einfach was klauen, und sie würden es gar nicht merken», flüstert Emma mir zu. Das mit dem Klauen fasziniert
     uns, seit Roxy so viel davon erzählt hat.
    «Ja», sage ich.
    «Hast du schon mal   …?», fragt sie mich.
    «Nein. Du?»
    «Nein.»
    Hier oben hängt alles voller Kleider im Schuluniformstil und dazwischen noch andere Sachen, die ich auch schon an Leuten in
     der Schule gesehen habe: Parkas, Lederjacken, billige, angesagte Schuhe. Ich frage mich, ob die Sachen, die ich anhabe – ein
     schwarzer Rock und ein lachsfarbener Pulli – wohl auch von hier sind. Was bin ich froh, dass ich nicht meine eigenen Sachen
     trage!
    «Kann ich euch helfen?», fragt eine Frauenstimme.
    Wir drehen uns um. Die Frau ist jung, wahrscheinlich eine Studentin. Sie hat blaugefärbtes Haar und trägt die Mädchenvariante
     der Kleider aus dem Erdgeschoss: schwere Docs, eine superkurze Armeehose und ein weites T-Shirt mit Amnesty-International-Logo. Ich will so sein wie sie! Ich bringe keinen Ton heraus, deshalb fragt Emma nach dem Rock
     und der Strumpfhose und sagt, dass sie für mich sind.
    «Ihr wollt ihn bestimmt eine Größe größer, damit sie ihn umschlagen kann», sagt die Frau und zwinkert uns zu.
    «Genau», sagt Emma.
    Ich weiß, dass sie die Röcke damit kürzer machen, das habe ich beim Umziehen nach dem Sport beobachtet. Diese Frau weiß das
     auch und macht sogar Witzchen darüber. Mir ist ganz schlecht. Ich bin mir sicher, dass die anderen aus meiner Clique die Frau
     komisch finden würden, aber ich würde alles darum geben, so alt zu sein wie sie (wahrscheinlich so um die achtzehn) und in
     einem solchen Laden arbeiten zu dürfen, mit blauen Haaren und abgedrehten Klamotten.
    «Fandest du sie hübsch?», fragt Emma, als wir wieder aus dem Laden gehen.
    «Was ist mit dir?», frage ich zurück. Ich habe den Eindruck,dass Emma die Frau genauso toll fand wie ich, aber ich will, dass sie es als Erste sagt. Sie zögert.
    «Nee. Hältst du mich vielleicht für ’ne Lesbe? Los, komm.»
    Wir gehen ins Zentrum, auf den Marktplatz, und halten Ausschau nach Lucy und Michelle. Sarah und Tanya sind offenbar im Stall,
     daher treffen wir uns nur zu viert. Wir sind früh dran, und Emma schlägt vor, noch in die Drogerie zu gehen. Ihr Lipgloss
     ist fast leer, sie will sich neues kaufen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich noch genug Geld habe, um mir auch welches
     zu kaufen, weil ich weiß, dass die Clique sich samstags immer Cheeseburger beim neueröffneten McDonald’s holt, trotz Diät
     und allem. Wenn ich das auch machen will, kann ich mir definitiv kein Lipgloss mehr leisten. Eine ziemliche Zwickmühle.
    Dann stehen wir bei Boots vor dem Regal mit dem aromatisierten Lipgloss, und es sind keine Verkäuferinnen zu sehen.
    «Denkst du auch, was ich denke?», fragt Emma.
    «Was denn   …?»
    «Du weißt schon.»
    Und ich weiß es tatsächlich. So viele unserer Gespräche basieren auf den absurden und kaum fassbaren Prinzipien des Nicht-
     (oder zumindest Nicht-als-Erste-) Sagens, Ratens und Gedankenübertragens. Ich weiß, was sie denkt, und sie weiß, dass ich
     es weiß. Und keine von uns hat es als Erste ausgesprochen. Keine von uns ist der Asi. Keine ist schuld.
    «Ja», sage ich. «Aber   …» Ich schlucke. «Und wenn   …?»
    «Schaut doch keiner her.»
    «Nein.»
    «Dann mach schon.»
    «Du zuerst.»
    Wir kichern beide. Dann sagt Emma: «Wir machen’s zusammen.»
    Ganz objektiv gesehen bin ich besser darin als sie, und ichmerke, dass sie beobachtet, was ich tue, und es mir nachmacht. Ich nehme zwei Lipglossdöschen gleichzeitig in die Hand: eins
     zwischen Daumen und Zeigefinger, das andere unter den übrigen Fingern versteckt. Dann sage ich laut zu Emma, dass ich das
     hier bereits habe, und stelle das eine Döschen etwas übertrieben theatralisch zurück. Das andere behalte ich in der Hand,
     die ich rasch in die Tasche schiebe. Dann gehen wir aus dem Laden.
    Draußen werden an einem Stand Handzettel gegen Tierversuche verteilt. In der Schule habe ich ein paar Leute davon reden hören,
     aber nie ganz verstanden, worum es geht. Jetzt schaue ich kurz zu den Leuten am Stand hinüber, zu den großen Plakaten von
     Hasen mit Elektroden im Hirn, von Hunden, die gequält und eingesperrt werden, und

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