PopCo
Zigarette, zünde sie an und huste probeweise. Es fühlt sich ganz gut an – wenn man davon absieht, dass mir von dieser
unerwarteten Dosis Nikotin und Chemie fast der Kopf platzt. Der Raum verschwimmt mir kurz vor den Augen, stellt sich dann
wieder scharf. Das Buch. Ich schlage es auf und nehme das Blatt heraus.
Hier zumindest finde ich, was ich erwartet habe: eine Liste mit Zahlen.
Ich ziehe mein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche und schlage das Buch auf Seite 263 auf. Das 18. Wort auf der Seite lautet
Don’t
.
Don’t
? Will man mich von etwas abhalten? Ichwill gerade auf Seite 343 blättern, als die Tür aufgeht und ein Grüppchen PopCo-Leute das Café betritt: Grace, Kieran, Frank,
James und Violet. Mist. Rasch schiebe ich das Buch und den Brief in die Tasche zurück, damit sie es nicht sehen, und fange
an, ein bisschen in meinem Notizbuch herumzukritzeln, als hätte ich das schon die ganze Zeit gemacht.
«Das ist doch mal ein nettes Plätzchen», sagt Kieran mit seiner lauten Stimme. «He, seht mal. Ist das nicht die Dings?»
«Alice», sagt Violet.
Allein im Café zu sitzen ist genau so lange wunderbar, bis eine Gruppe von Leuten hereinkommt, die man kennt. Und jetzt, wo
sie meinen Namen gesagt haben, muss ich auch aufschauen.
«Hi», sage ich.
«Wie geht’s, wie steht’s?», fragt Kieran. «Findest du dieses Mittelalterstädtchen auch so cool wie wir?»
«Ja, es ist wirklich nett», sage ich.
«Wir würden uns ja zu dir setzen, aber …»
«Schon gut. Ich wollte eh gerade gehen.»
Ich stürze den restlichen Kaffee hinunter und drücke meine Zigarette aus. Dann zahle ich vorn an der Theke und verlasse rasch
das Café. Wo kann ich bloß in Ruhe diese Nachricht entschlüsseln? Ich gehe zurück zur Hauptstraße und dann nach links, hangabwärts.
Auf der einen Straßenseite passiere ich eine Reihe überdachter Läden in mittelalterlich wirkenden Häusern, auf der anderen
herrscht lebhaftes Markttreiben. Etwas weiter weg entdecke ich eine Boots-Filiale, vor der nicht mal ein einzelner Tierversuchsgegner
steht, geschweige denn ein ganzer Stand. Ich lasse eine langweilige Buchhandlung hinter mir, in deren Schaufenster kommerzielle
Bestseller liegen, und einen Laden für Weltmusik. Irgendwo muss es doch ein Plätzchen geben! Dann stehe ich plötzlich vor
dem kleinen Museum.
Natürlich
. Leicht paranoid schaue ich über die Schulterzurück, ob mir auch niemand gefolgt ist, und gehe rasch hinein. Der Lärm, ein Gewirr aus Marktschreiern, Kinderstimmen und
knisternden Einkaufstüten, verklingt so abrupt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ich stehe in einem kühlen, stillen
Raum mit gebohnertem Holzboden und einer Kasse am anderen Ende. Vorbei an T-Shirts mit Fotos von der Burg und dem Museum, Büchern zur Stadtgeschichte und altmodischem Spielzeug – Finger- und Ankleidepuppen, wie sie PopCo schon seit den Achtzigern nicht mehr herstellt –, gehe ich zur Kasse.
«Guten Tag», sage ich zu der älteren Dame, die dort sitzt. «Einmal, bitte.»
«Wohnen Sie in Totnes?»
«Nein», sage ich, während mein Blick bereits auf die verschiedenen Faltblätter neben der Kasse fällt. Der Titelseite des einen
ist zu entnehmen, dass das Museum früher einmal das Wohnhaus eines Kaufmanns war. Innen stehen Informationen über die aktuellen
Exponate. Es gibt eine Abteilung mit viktorianischen Apothekenutensilien, eine Abteilung mit historischen Kostümen und – ich
fasse es nicht! – einen Charles-Babbage-Saal. Das ist jetzt aber wirklich eigenartig. Wieso haben sie hier denn einen Charles-Babbage-Saal?
Er war doch in London tätig, da bin ich mir sicher. Von dort aus hat er seine unermüdlichen Kampagnen gegen Leierkastenspieler
und Straßenmusikanten geführt. Ich schüttele kurz den Kopf, wie man es tut, um Träume und seltsame Phantasiegebilde zu verscheuchen;
doch auf dem Faltblatt steht immer noch:
Charles-Babbage-Saal
.
«Das macht dann eins sechzig», sagt die Dame an der Kasse.
Ich krame mein Geld hervor. «Ich interessiere mich für den Charles-Babbage-Saal», sage ich.
«Ach ja», erwidert sie. «Das ist ganz oben. Computergeschichte. Sehr beliebt. Am besten gehen Sie gleich hier die Treppe hoch.»
Auf dem Weg nach oben knarren die hölzernen Stufen unter meinen Schritten. Sind überhaupt noch andere Besucher im Museum?
Ich höre jedenfalls niemanden. Ich passiere ein Stockwerk, dann ein weiteres und habe das Gefühl, umso weiter
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