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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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distanzierter erscheint. Ich dachte immer, man müsse beim Meditieren alleGedanken verbannen, doch unsere Lehrerin erklärt uns, dass man seine Gedanken ruhig alle in einer Art Vorratsschrank im Gehirn
     behalten könne, während man einen einzelnen in den Vordergrund stellt und sich nur darauf konzentriert. Meditieren, sagt sie,
     ist, als würde man erst ein bisschen aufräumen, bevor man sich hinsetzt, anstatt sich mitten in die Unordnung zu hocken. Außerdem
     soll es gut gegen dieses überladene Gefühl im Kopf sein, unter dem ich ganz eindeutig leide. Nach der Stunde fühle ich mich
     leichter und zugleich schrecklich müde. Langsam gehe ich in mein Zimmer zurück und schlafe auf der Stelle ein, ohne das eigentlich
     zu wollen.
    Eine Stunde vergeht, vielleicht auch zwei. Das Abendessen werde ich jetzt wohl verpasst haben. Wie spät ist es überhaupt?
     Ich fühle mich schläfrig, desorientiert. Bin ich überhaupt noch ich selbst? Ich glaube schon. Ich zwinge mich zum Aufstehen,
     gehe ins Bad, wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser und verteile ein paar Tropfen in meinen Haaren, die schon wieder anfangen,
     sich zu kräuseln. Aber im Grunde mache ich das mehr aus Gewohnheit. Stört es mich wirklich so sehr, dass sich meine Haare
     kräuseln? Eigentlich nicht. Ich gehe ins Zimmer zurück und lege mich wieder ins Bett. Das Laken ist noch warm; auf dem Kopfkissen
     sieht man die kleine Delle, wo mein Kopf noch vor ein paar Minuten lag. Eigentlich bin ich gar nicht mehr müde, im Gegenteil.
     Ich fühle mich einfach nur so brötchenwarm und wohlig dabei, mit angezogenen Beinen hier zu liegen, als hätte mir jemand ein
     beruhigendes Zauberschlaflied vorgesungen. Gerade jetzt fühle ich mich, als wäre ich der allerletzte Mensch, dem jemand Geheimbotschaften
     schicken würde. Ich fühle mich, als hätte ich gar keine Arbeit vor mir. Um den Effekt noch zu verstärken, greife ich nach
     dem Baldrianfläschchen, das auf dem Nachttisch steht. Ein paar Tropfen, dann noch ein bisschen Halb-Meditation. Ich konzentriere
     mich auf einen Riss in der Decke. Großartig: eine Überdosis Entspannung.Noch etwas Baldrian. Kamille wäre jetzt auch nicht schlecht. Ich hätte wirklich große Lust auf einen Kamillentee, eine Misosuppe
     (die Gier danach hat sich nie ganz gelegt) und vielleicht auch ein bisschen Gras. Wo ist Esther? Ob die Köche wohl Misosuppe
     kennen? Kann ich diese Fragen überhaupt alle beantworten? Während ich noch überlege, ob ich die Energie zum Masturbieren aufbringe,
     döse ich wieder ein.
    Acht Uhr. Jetzt habe ich das Abendessen endgültig verpasst. Ich fühle mich schlapp vom Baldrian, ein bisschen wie ein Hampelmann;
     aber es ist nicht so schlimm, dass ich nicht aufstehen und eine Zigarette rauchen könnte. Ich ziehe meinen Rock an, eine Bluse
     und eine Strickjacke und meine Turnschuhe. Den Zimmerschlüssel habe ich an ein Stück Schnur gebunden, das ich mir um den Hals
     hänge. Pferdeschwanz? Nein. Lieber zwei dicke Zöpfe. Wunderbar.
Auf geht’s, Alice. Raus aus dem Zimmer.
Ich kann schließlich nicht schon wieder ins Bett gehen. Oder doch? Nein, nichts da. Ich erinnere mich düster, dass ich heute
     eigentlich noch etwas arbeiten wollte, aber erst mal brauche ich Suppe, Tee oder irgendwas in der Art. Ich habe Hunger, und
     ich brauche Bewegung. Die Luft, die mir draußen entgegenschlägt, ist wie ein unerwarteter Kuss.
    Drüben im Westflügel hat sich Dan in ein Buch über laterales Denken vergraben.
    «Hi», begrüße ich ihn.
    Er schaut mit leuchtenden Augen zu mir auf. «Das ist echt der   … Ach du je. Was ist denn mit dir los?»
    «Wieso?»
    «Du siehst irgendwie mitgenommen aus.»
    «Keine Sorge, mir geht’s gut. Etwas viel meditiert. Das wird schon wieder.»
    «Aha. Wir haben dich beim Abendessen vermisst.»
    Dann habe ich es also wirklich verpasst. «Ich musste einfach ein bisschen schlafen. Hast du Esther gesehen?»
    «In der Küche vielleicht. Am Ende vom Flur.»
    «Danke», sage ich. «Wie lang bist du denn noch auf?»
    «So bis eins, denke ich.»
    «Trinken wir später noch einen Tee zusammen?»
    «Ja, klar. Willst du dann auch meine Hausaufgaben abschreiben?»
    «Wie? Ach so. Ja, vielleicht.»
    «Du bist echt eine Wahnsinns-Drückebergerin, Butler.»
    Das stimmt gar nicht. Ich weiß, dass ich Arbeit schnell erledigen kann, wenn der Termindruck stärker ist als jetzt. Aber ich
     sage nichts und gehe den Flur entlang in Richtung Küche. Ich rieche Toast, Wasserdampf. Die Tür ist

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