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PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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geschlossen, aber ich
     öffne sie trotzdem, weil ich aus irgendeinem Grund davon ausgehe, dass Esther allein dort drinnen sitzt und sich einen Toast
     macht. Stattdessen finde ich Ben, Chloë und Hiro vor, in ein intensives Gespräch vertieft. Einer dieser Momente, wenn alle
     aufhören zu reden, sobald man reinkommt, und einen mit hochgezogenen Brauen anstarren. Oh Mann.
    «Tut mir leid», sage ich mechanisch. «Ich suche nur jemanden.»
    Genau genommen haben sie gar nicht alle die Brauen hochgezogen und starren mich auch nicht alle an. Ben hält den Blick auf
     den Tisch gerichtet, die braunen Augen leer hinter den Brillengläsern. Merkt er vielleicht gar nicht, dass ich da bin? Will
     er mir diesmal keinen seiner schwer zu deutenden Blicke zuwerfen? Offenbar nicht. Seltsam. Heute Nachmittag wollten wir doch
     noch gemeinsam aus einem Heißluftballon springen, was, das muss ich zugeben, ein angenehmes Prickeln in mir ausgelöst hat.
     Jetzt schließe ich die Küchentür so rasch wie möglich wieder und laufe über den Flur zurück. Ich klopfe kurz an Esthers Zimmertür,
     aber sie scheint nicht da zu sein. Langsam gehe ich die Stufen zum steinernen Durchgang hinunter. Die Luft ist frisch und
     feucht und riecht nach Gras. Washabe ich jetzt vor? Soll ich die Suche nach Esther aufgeben? Sie ist immer auffallend schwer zu finden, so schwer, dass ich
     mich schon gefragt habe, ob sie sich vielleicht unsichtbar machen kann oder sich nach Einbruch der Dunkelheit in eine Fledermaus
     verwandelt und irgendwo kopfunter hängt. Vielleicht sollte ich einfach nachsehen, ob der Speisesaal noch offen ist, oder mir
     in der Küche im Ostflügel etwas Essbares suchen. Vielleicht werde ich sogar ein wenig arbeiten, nachdem das alle anderen auch
     zu tun scheinen.
    Als ich den Westflügel verlasse, höre ich hinter mir Schritte in der Stille, rasche Schritte, als würde mir jemand nachlaufen.
     Instinktiv drehe ich mich um. Keiner da. Ich bleibe kurz stehen, doch die Schritte sind nicht mehr zu hören. Vielleicht war
     das nur ein Nachhall aus der Vergangenheit oder jemand, der in die entgegengesetzte Richtung gelaufen ist. Ich gehe durch
     den Torbogen und dann über die Rasenfläche zu der schweren Eichentür, die ins Haupthaus führt.
    Im Speisesaal sind tatsächlich noch Leute zugange. Ob sie wohl rund um die Uhr hier sind? Bei PopCo ist alles möglich. Leicht
     verlegen erkundige ich mich, ob ich noch etwas zu essen bekommen kann, und zähle meine extravaganten Wünsche auf.
    «Misosuppe», wiederholt der Koch. «Kamillentee.
Pain au chocolat
. Rührei auf Vollkorntoast.» Er grinst mich an. «Das kriegen wir hin. Heißhungeranfall, was?»
    «Na ja, nicht direkt. Ich habe das Abendessen verschlafen», sage ich.
    «Kein Problem. Du weißt ja sicher, dass wir die ganze Nacht hier sind?»
    PopCo kümmert sich wirklich um alles.
    «Muss ich hier essen?», frage ich. «Oder kann ich   …?»
    «Woanders essen? Klar. Dann machen wir’s zum Mitnehmen.» Er ruft seinen Kollegen die Bestellung zu, und ich setzemich an einen kleinen Tisch und warte. Wenn ich mir bloß etwas zum Lesen mitgenommen hätte.
     
    Zurück auf dem Zimmer, ziehe ich einen der Romane für «junge Erwachsene» aus dem Bücherschrank, entferne die Folie von den
     Tellern und mache mich über das Essen her. Die Misosuppe haben sie mir in einer großen Warmhalteflasche mitgegeben, und nach
     zwei Tassen ist mein Heißhunger gestillt. Das Rührei ist mit geriebenem Parmesan und Basilikum verfeinert. Ich verzehre es
     mitsamt dem Vollkorntoast und vertiefe mich dabei in den Roman, der von einem einsamen Mädchen und seinem Pferd handelt. Einsam
     ist sie, weil sie mit ihren Eltern in ein abgelegenes Haus in der Nähe eines Moors in Schottland ziehen musste und dort keine
     Freunde hat. Sie steht jeden Tag um fünf Uhr morgens auf, um ihr Pferd zu striegeln, und geht dann drei Kilometer zu Fuß bis
     zur nächsten Bushaltestelle, um zur Schule zu kommen. Wenn sie dort ankommt, ist sie viel zu müde, um sich mit den anderen
     anzufreunden und richtig mitzuarbeiten. Und an den Wochenenden gerät sie regelmäßig in gefährliche Situationen mit ihrem Pferd.
     Als sie das erste Mal über das unbekannte Moor reitet, kommt sie in ein Gewitter und verirrt sich, beim zweiten Mal bleibt
     sie im Morast stecken. Und beim dritten Ausritt begegnet sie einem fremden Jungen, der ebenfalls zu Pferd unterwegs ist. Sie
     sehen einander an und reiten dann ohne ein weiteres Wort immer

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