Populaermusik Aus Vittula
Nägel in einer Kiste. Und ganz vorn. Am Standmikrophon. Da stand ich.
Ich sang nicht, ich brüllte. Die Brunstlaute des Elchs. Der Todesschrei der Lemminge. Verdammt, ich erfand einfach selbst was. Ohne dass wir es wussten, hatten wir mehrere Jahre zu früh den Punk erfunden. Das Lied näherte sich seiner Auflösung, so musste man es wohl bezeichnen, zu behaupten, es gehe zu Ende, wäre gelogen gewesen, da Erkki mit leerem Blick weiter wütete, und ich mich erneut übers Mikrophon beugte:
»Tjus lätmi isamatö räckönräll mjosik!«
Noch einmal. Der Vorhang war immer noch vorgezogen. Ich versuchte die Basstöne nach der Basstrommel auszurichten, aber Erkkis Spiel übertönte jetzt in einer Art Epilepsieanfall alles andere. Niila fand endlich die richtige Tonart, kam aber zwei Takte zu spät. Holgeri spielte das Solo des zweiten Stücks, er hatte nicht gemerkt, dass wir das erste noch einmal spielten.
»Tjus lätmi isamatö ...«
Das dritte Mal das gleiche Stück. Greger fummelte fieberhaft im Vorhangdunkel zwischen Schnüren und Stoffbahnen. Erkki schlug so ohrenbetäubend hart zu, dass ich meine eigene Stimme nicht mehr hörte. Und erst jetzt flog der Vorhang auf, und es wurde blendend hell von den Scheinwerfern. Und da saßen sie alle, die ganze verdammte Schule, und ich beugte mich vor und grölte:
»Tjus lätmi isamatö«, jetzt zum vierten Mal.
Das Unglaubliche geschah, Niila kam in den Rhythmus. Er folgte Erkki, und ich und Holgeri setzten mit ein. Und wie eine fauchende Lokomotive zogen wir den Song den ganzen Weg entlang über die Schienen, beim Schlussakkord drückten wir Erkki auf seinem Stuhl nach hinten, sodass er umfiel.
Es war ganz still.
Ich schlich mich zur Seite, bis das Gitarrenkabel nicht mehr reichte, hatte das starke Bedürfnis zu emigrieren. Mein Schädel fühlte sich wie eine Maracasse an. Greger packte mich bei den Schultern. Drehte mich um. Sagte etwas, aber ich war von Erkkis Becken schwerhörig geworden.
Dann sah ich es. Sie applaudierten. Die ganze vollbesetzte Aula. Sie klatschten in die Hände, offenbar freiwillig, und ein paar der Mädchen, die schon auf Popkonzerten in Lulea gewesen waren und wussten, wie es ablief, schrien nach einer Zugabe.
Langsam zog das Publikum ab, wir standen da und verstanden nicht so recht, was passiert war. Schon jetzt, nach unserem ersten Konzert, wurden wir von dieser Leere gepackt, die man nach jedem Auftritt spürt, eine Art nach innen gerichteter Trauer. Erkki behauptete, er hätte Gedächtnislücken, erklärte aber gleichzeitig, sein Körper wäre heiß wie nach der Sauna. Greger murmelte etwas davon, dass die Vorhangschnur mit selbstleuchtender Farbe markiert werden sollte. Benommen schleppten wir die Geräte zurück in den Musiksaal.
Die anschließenden Reaktionen waren unterschiedlich. Es war wohl kaum als Erfolg zu bezeichnen, aber auf jeden Fall hatten wir einen nur schwer auszulöschenden Eindruck hinterlassen. Die laestadianischen Schüler hatten sofort die Aula verlassen, und die Jungs in der letzten Reihe hatten sofort aufgehört, Papierkrampen auf die Glatze des Mathelehrers zu werfen. Ein paar unserer Kumpel lobten uns in den höchsten Tönen, die aus einem tornedalschen Mund kommen können:
»Ihr wart gar nicht so schlecht.«
Andere versicherten uns, dass es das Schlimmste gewesen sei, was sie seit dem Akkordeonspieler aus Sion während einer Morgenandacht gehört hatten, und dass sie uns beim nächsten Mal die Kabel durchschneiden würden. Etwas peinlich war auch, dass viele den zweiten Song am besten fanden. Einige waren dagegen der Meinung, der dritte sei der Beste gewesen oder vielleicht auch der erste. Dagegen schien niemand den vierten Song vorzuziehen, den Einzigen, bei dem wir richtig gespielt hatten. Wir hatten nicht den Mut, ihnen zu sagen, dass es alle vier Male das gleiche Stück gewesen war, nur in unterschiedlichen Stadien der Panik. Ein paar Mädchen aus der Achten fingen an, Erkki hinterherzuschielen, da er die stärkste Bühnenausstrahlung hatte, und andere hinter Holgeri, weil er am süßesten war. Greger musste dagegen von einem gehässigen Lehrerkollegium Kritik hinsichtlich seiner künstlerischen Verantwortungslosigkeit hinnehmen.
Wir kamen also im Großen und Ganzen mit dem Schrecken davon.
In Tornedal hat sich Kreativität größtenteils ums Überleben gedreht. Man konnte den flinken Tischler respektieren, ja sogar bewundern, der aus den Baumstämmen des Waldes alles von einem Buttermesser bis zu
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