Portrat in Sepia
kamen also die neu angestellten zu den alten Dienstboten,
die seit Jahren im Haus waren und die man natürlich nicht
abschieben konnte. Es gab so viel Personal, daß die einen
müßiggingen und den anderen im Weg standen, und so viele
Klatschereien und Bosheiten, daß schließlich Frederick
Williams eingriff, um Ordnung zu schaffen, da der Argentinier
einfach nicht wußte, wo er anfangen sollte. Das schuf einigen
Aufruhr, wo hätte man jemals gesehen, daß der Herr des Hauses
sich auf Domestikenniveau herabließe, aber ihm gelang es bis
zur Perfektion; zu etwas war seine lange Erfahrung in dem Amt
doch gut. Ich glaube nicht, daß Diego Dominguez und seine
Familie, unsere ersten Gäste, die Eleganz der Bedienung zu
würdigen wußten, im Gegenteil, soviel Glanz schüchterte sie
ein. Sie gehörten einer alten Dynastie von Grundbesitzern im
Süden an, aber im Gegensatz zu den meisten Gutsherren in
Chile, die ein paar Monate auf ihren Ländereien verbringen und
den Rest des Jahres in Santiago oder in Europa von ihrem
Einkommen leben, werden Leute wie die Dominguez auf dem
Lande geboren, wachsen dort auf und sterben dort. Sie waren
Menschen mit einer soliden Familientradition, zutiefst
katholisch und sehr schlicht, ohne auch nur eine der Raffinessen,
die meine Großmutter eingeführt hatte und die ihnen sicherlich
recht dekadent und wenig christlich vorkamen. Mir fiel auf, daß
alle blaue Augen hatten außer Susana, Diegos Schwägerin, eine
dunkelhaarige Schönheit von lässiger Anmut wie ein spanisches
Gemälde. Bei Tisch gerieten sie in Verwirrung angesichts der
aneinandergereihten Bestecke und der sechs Gläser, keiner von
ihnen versuchte den Canard à l’orange, und sie erschraken ein
wenig, als das Dessert brennend aufgetragen wurde. Als Dona
Elvira, Diegos Mutter, die Parade von uniformierten Dienern
sah, fragte sie, weshalb soviel Militär im Hause sei. Vor den
impressionistischen Gemälden standen sie starr vor Verblüffung,
sie waren überzeugt, daß ich dieses merkwürdige Geschmier
gemalt und meine Großmutter es aus purem Altersschwachsinn
an die Wände gehängt hätte, aber das kurze Konzert für Harfe
und Klavier, das wir ihnen im Musiksalon boten, gefiel ihnen.
Die Unterhaltung erstarb schon beim zweiten Satz, bis die
Zuchtbullen aufs Tapet kamen und damit das Thema Viehzucht,
das Paulina außerordentlich interessierte, und ich zweifle nicht,
daß sie in Gedanken die Möglichkeit erwog, die Käseherstellung
zusammen mit den Dominguez aufzuziehen, bei der Unmenge
von Kühen, die sie besaßen. Wenn ich noch Zweifel gehegt
hatte über mein künftiges Leben auf dem Lande bei dem Stamm
meines Verlobten, hatte dieser Besuch sie zerstreut. Ich verliebte
mich in diese unverbildeten, gutherzigen und anspruchslosen
Landleute, in den lebhaften, lachlustigen Vater, die unschuldige
Mutter, den liebenswürdigen und männlichen älteren Bruder, die
geheimnisvolle Schwägerin und die jüngere Schwester, so
fröhlich wie ein Kanarienvogel - sie alle hatten eine mehrere
Tage dauernde Landpartie gemacht, um mich kennenzulernen.
Sie hatten mich ganz selbstverständlich angenommen, und ich
bin sicher, daß sie zwar einigermaßen fassungslos über unseren
Lebensstil waren, aber ohne uns zu kritisieren, denn sie schienen
eines bösen Gedankens gar nicht fähig zu sein. Da Diego mich
erwählt hatte, betrachteten sie mich als zu ihrer Familie gehörig,
das genügte ihnen. Ihre Schlichtheit half mir, mich zu
entspannen, was mir mit Fremden selten gelingt, und schon nach
kurzer Zeit unterhielt ich mich mit jedem von ihnen, erzählte
von unserer Europareise und von meiner Liebe zur Fotografie.
»Zeigen Sie mir Ihre Fotos, Aurora«, bat mich Dona Elvira, aber
als ich es tat, konnte sie ihre Enttäuschung nicht verbergen. Ich
glaube, sie hatte etwas Erbaulicheres erwartet als Trupps
streikender Arbeiter, armselige Mietwohnungen, zerlumpte
Kinder, die in den Bewässerungsgräben spielten, gewalttätige
Volksaufstände, Bordelle, geduldige Auswanderer auf ihren
Bündeln im Kielraum eines Schiffes. »Aber liebes Kind, warum
haben Sie keine hübschen Bilder gemacht? Warum gehen Sie an
diese häßlichen Orte? Es gibt so viele reizende Landschaften in
Chile…«, murmelte die treuherzige Señora. Ich wollte ihr schon
erklären, daß mich die schönen Dinge nicht interessieren,
sondern diese von Mühsal und Leiden gegerbten Gesichter, aber
ich begriff, daß dies nicht der geeignete
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