Portrat in Sepia
Moment war. Ich würde
später noch genug Zeit haben, mich meiner zukünftigen
Schwiegermutter und der übrigen Familie zu zeigen, wie ich bin.
»Wozu mußtest du ihnen diese Fotos zeigen? Die Dominguez
sind altmodische Leute, du durftest sie nicht mit deinen
modernen Ideen erschrecken, Aurora«, kanzelte Paulina mich
ab, als unsere Gäste fort waren. »Jedenfalls waren sie schon
reichlich erschrocken über den Luxus in diesem Haus und über
die impressionistischen Gemälde, meinen Sie nicht,
Großmutter? Im übrigen sollen Diego und seine Familie wissen,
welche Art Frau ich bin«, entgegnete ich. »Du bist noch keine
Frau, du bist ein Mädchen. Du wirst dich verändern, wirst
Kinder haben, wirst dich in die Umwelt deines Mannes einfügen
müssen.«
»Ich werde immer dieselbe sein, und die Fotografie gebe ich
nicht auf. Das ist nicht dasselbe wie die Aquarelle von Diegos
Schwester oder die Stickerei seiner Schwägerin, es ist ein Teil
meines Lebens.«
»Na schön, heirate erst mal, und dann mach, wozu du Lust
hast«, schloß meine Großmutter. Wir warteten nicht bis
September, wie es geplant gewesen war, sondern mußten schon
Mitte April heiraten, weil Doña Elvira Domínguez eine leichte
Herzattacke hatte, und eine Woche später, als sie sich soweit
erholt hatte, daß sie wieder ein paar Schritte gehen konnte,
äußerte sie ihren Wunsch, mich als Ehefrau ihres Sohnes Diego
zu sehen, bevor sie in die andere Welt hinüberginge. Der Rest
der Familie war einverstanden, denn sollte die Mutter bald
sterben, würde man die Hochzeit um mindestens ein Jahr
verschieben müssen, um die Trauerzeit ordnungsgemäß
einzuhalten. Meine Großmutter schickte sich seufzend darein,
die Dinge zu beschleunigen und die fürstliche Zeremonie zu
vergessen, die sie vorgehabt hatte, und ich atmete erleichtert auf,
denn die Vorstellung, mich den Augen von halb Santiago
auszusetzen, wenn ich am Arm von Frederick Williams oder
Severo del Valle die Kathedrale betrat, und das natürlich unter
einem Berg von weißem Organdy, wie meine Großmutter
wünschte, hatte mich doch sehr beunruhigt.
Was kann ich über meine erste Liebesnacht mit Diego
Dominguez sagen? Wenig, denn das Gedächtnis druckt
schwarzweiß; die Grautöne gehen unterwegs verloren. Vielleicht
war sie nicht so jämmerlich, wie ich sie in Erinnerung habe, aber
die Nuancen habe ich schlicht vergessen, ich habe nur ganz
allgemein das Gefühl von Enttäuschung und Wut bewahrt. Nach
der ganz privat gehaltenen Hochzeit im Haus meiner
Großmutter fuhren wir in ein Hotel, wo wir die Nacht
verbringen wollten, bevor wir für zwei Wochen nach Buenos
Aires fuhren, denn Dona Elviras prekäre Gesundheit erlaubte
keine weite Reise. Beim Abschied von meiner Großmutter
wußte ich, daß ein Teil meines Lebens endgültig zu Ende ging.
Als ich sie umarmte, spürte ich, wie sehr ich sie liebte und wie
dünn sie geworden war, das Kleid hing ihr am Körper, und ich
überragte sie um einen halben Kopf, ich ahnte, daß ihr nicht
mehr viel Zeit blieb, sie sah so klein und verletzlich aus, eine
winzige Alte mit zittriger Stimme und watteweichen Knien.
Wenig nur war geblieben von der großartigen Matriarchin, die
mehr als siebzig Jahre lang tun konnte, was sie wollte, und die
Schicksale ihrer Familie lenkte, wie es ihr paßte. Frederick
Williams neben ihr hätte ihr Sohn sein können, die Jahre tasteten
ihn nicht an, als wäre er immun gegen den Verfall der
Sterblichen. Noch am Tag vor der Hochzeit hatte Onkel
Frederick mich hinter Paulinas Rücken gebeten, ich solle nicht
heiraten, wenn ich nicht ganz sicher sei, und ich hatte ihm wie
jedesmal erwidert, nie sei ich mir einer Sache sicherer gewesen.
Ich zweifelte nicht an meiner Liebe zu Diego. Je näher die
Hochzeit rückte, um so mehr wuchs meine Ungeduld. Ich
betrachtete mich nackt im Spiegel oder spärlich genug bedeckt
mit den zarten Spitzennachthemden, die meine Großmutter in
Frankreich für mich gekauft hatte, und fragte mich, ob er mich
wohl hübsch finden werde. Ein Muttermal am Hals oder die
dunklen Brustwarzen schienen mir gräßliche Schönheitsfehler.
Würde er mich genauso begehren wie ich ihn? Das erfuhr ich in
dieser Nacht im Hotel. Wir waren müde, hatten üppig gegessen,
er hatte reichlich viel getrunken, und auch ich hatte drei Gläser
Champagner intus. Als wir das Hotel betraten, heuchelten wir
Gleichgültigkeit, aber das Reisrinnsal, das wir auf dem
Fußboden hinterließen, verriet uns als
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