Portrat in Sepia
sehr viel besser zwischen uns laufen würden. Armer
Diego, dachte ich, er muß doch genauso desillusioniert sein wie
ich. Also ging ich zurück ins Hotel, damit wir rechtzeitig die
Koffer schließen und uns auf unsere Hochzeitsreise machen
konnten.
Das Gut Caleufú, in der schönsten Gegend Chiles gelegen, ein
wildes Paradies aus Wäldern, Vulkanen, Seen und Flüssen, hatte
den Dominguez seit den Kolonialzeiten gehört, als das Land
unter den Edelleuten aufgeteilt wurde, die sich während der
Eroberung besonders ausgezeichnet hatten. Die Familie hatte ihr
Besitztum noch vergrößert, indem sie von den Indios für ein
paar Flaschen Branntwein weiteren Boden aufkaufte, bis sie eine
der blühendsten Ländereien der Region besaß. Das Grundstück
war nie zerstückelt worden; aus Tradition erbte es immer der
älteste Sohn ungeteilt, der seinerseits verpflichtet war, seinen
Brüdern Arbeit zu geben, seine Schwestern zu unterhalten und
ihnen eine Mitgift zu beschaffen und für seine Pachtbauern zu
sorgen. Mein Schwiegervater, Don Sebastian Dominguez, war
einer dieser Menschen, die erfüllt haben, was von ihnen erwartet
wurde, und sah dem Altern mit reinem Gewissen entgegen,
dankbar für die Gaben, die das Leben ihm geschenkt hatte, vor
allem für die Liebe seiner Frau, Dona Elvira. In seiner Jugend
war er ein Teufelskerl gewesen, wie er selbst lachend sagte und
was verschiedene Bauern seines Gutes mit blauen Augen
bewiesen, aber die so sanfte wie feste Hand Dona Elviras hatte
ihn gezähmt, ohne daß er es merkte. In seiner Rolle als Patriarch
bewährte er sich mit viel Güte; die Pächter kamen mit ihren
Problemen am liebsten zu ihm, denn seine beiden Söhne,
Eduardo und Diego, waren härter, und Dona Elvira tat außerhalb
des Hauses den Mund nicht auf. Die Geduld, die Don Sebastian
den Pachtbauern bewies, wobei er sie wie ein wenig
zurückgebliebene Kinder behandelte, verwandelte sich in
Strenge, wenn er seinen Söhnen gegenübertrat. »Wir haben
große Vorrechte, deshalb haben wir auch viel Verantwortung.
Für uns gibt es weder Entschuldigungen noch Ausreden, es ist
unsere Pflicht, Gottes Gebot zu erfüllen und unseren Leuten zu
helfen, dafür wird im Himmel Rechenschaft von uns gefordert
werden«, sagte er. Er muß etwa fünfzig gewesen sein, aber er
sah jünger aus, weil er ein sehr gesundes Leben führte, er
verbrachte den Tag auf dem Pferderücken und rit t seine Felder
ab, morgens stand er als erster auf und ging abends als letzter zu
Bett, er war beim Dreschen ebenso dabei wie beim Zureiten von
Jungpferden oder beim Zusammentreiben des Viehs, er half
selber mit beim Markieren oder Kastrieren. Den Tag bega nn er
mit einer Tasse schwarzen Kaffee, in die er sechs Teelöffel
Zucker und einen Schuß Brandy tat; das gab ihm Kraft für die
Arbeiten auf dem Felde bis zwei Uhr nachmittags, wenn er im
Kreis der Familie vier Gänge und dreimal Dessert aß, begossen
mit reichlich Wein. Wir waren nicht viele in diesem Riesenhaus;
der größte Kummer meiner Schwiegereltern war es, daß sie nur
drei Kinder hatten. Gott habe es so gewollt, sagten sie. Zur
Abendbrotzeit fanden wir uns alle zusammen, die wir tagsüber
verstreut unseren Beschäftigungen nachgegangen waren, keiner
durfte fehlen. Eduardo und Susana lebten mit ihren Kindern in
einem anderen Haus, das zweihundert Meter vom Hauptgebäude
für sie errichtet worden war, aber dort wurde nur ihr Frühstück
eingenommen, die übrigen Mahlzeiten spielten sich am Tisch
meiner Schwiegereltern ab. Weil unsere Hochzeit vorverlegt
werden mußte, war das für Diego und mich bestimmte Haus
noch nicht fertig, und wir wohnten in einem Flügel des
schwiegerelterlichen Heims. Don Sebastian setzte sich in einen
höheren und verzierten Sessel am Kopfende, am anderen Ende
saß Dona Elvira, und an den beiden Seiten verteilten wir übrigen
uns - die Söhne mit ihren Frauen, die Tochter, zwei verwitwete
Tanten, ein paar Neffen oder andere nahe Verwandte, eine
Großmutter, die so alt war, daß sie mit einer Saugflasche
gefüttert werden mußte, und die Gäste, an denen es nie
mangelte. Stets wurden einige Gedecke mehr aufgelegt für
Besucher, die unangemeldet auftauchten und manchmal
wochenlang blieben. Sie waren immer willkommen, denn in der
ländlichen Abgeschiedenheit boten sie die beste Abwechslung.
Weiter zum Süden hin, mitten im Indioterritorium, lebten einige
chilenische Familien, darunter auch deutsche Kolonisten, ohne
die das
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