Portrat in Sepia
nie
wissen, wann ich einmal in die Lage komme, dich um eine
Gefälligkeit bitten zu müssen.«
»Du kannst auf mich zählen, Tante.« Am Tag darauf erschien
Paulina mit Severo im Büro ihrer Anwälte, derselben, die ihr
über fünfundzwanzig Jahre dienlich gewesen waren und ihr
saftige Kommissionen verdank ten, und verkündete ihnen ohne
große Vorrede, sie erwarte, ab kommenden Montag ihren
Neffen bei ihnen arbeiten zu sehen, damit er den Beruf erlerne.
Das konnten sie nicht ablehnen. Die Tante brachte den jungen
Mann in einem sonnigen
Zimmer im zweiten Stock ihres Hauses unter, kaufte ihm ein
gutes Pferd, setzte ein monatliches Taschengeld fest, besorgte
ihm einen Englischlehrer und ging daran, ihn in die Gesellschaft
einzuführen, denn, wie sie sagte, es gab kein besseres Kapital als
gute Kontakte.
»Zwei Dinge erwarte ich von dir, Zuverlässigkeit und gute
Laune.«
»Erwartest du nicht auch, daß ich tüchtig lerne?«
»Das ist dein Problem, Bursche. Was du aus deinem Leben
machst, geht mich nichts an.« Dennoch merkte Severo in den
folgenden Monaten, daß Paulina seine Fortschritte in der
Anwaltskanzlei genau verfolgte, über seinen Bekanntenkreis im
Bilde war, seine Ausgaben verbuchte und seine
Unternehmungen kannte, noch bevor er dazu aufbrach. Wie sie
es anstellte, um soviel zu wissen, war ein Rätsel, es sei denn,
Williams, der undurchdringliche Butler, hätte ein umfassendes
Überwachungsnetz gesponnen. Der Mensch leitete ein Heer von
Bediensteten, die ihre Aufgaben wie schweigende Schatten
erfüllten, in einem alleinstehenden Gebäude in der Tiefe des
Parks wohnten, die Herren des Hauses nicht ansprechen durften,
es sei denn sie wurden dazu aufgefordert. Auch mit dem Butler
konnten sie nur über die Wirtschafterin verhandeln. Severo fiel
es schwer, diese Rangordnungen zu begreifen, in Chile waren
die Dinge doch sehr viel einfacher. Die Herrschaften, auch die
despotischsten wie sein Großvater, behandelten ihre
Angestellten zwar mit Härte, aber sie sorgten für ihre
Bedürfnisse und betrachteten sie als Teil der Familie. Nie hatte
er erlebt, daß ein Dienstbote entlassen worden wäre; die
Mädchen kamen als Halbwüchsige ins Haus und blieben bis zu
ihrem Tode. Das Palais auf Nob Hill unterschied sich sehr stark
von den Häusern, in denen seine Kindheit verlaufen war,
klösterlichen Klotzbauten mit dicken Ziegelmauern und
düsteren verriegelten Türen, die wenigen Möbel standen an den
nackten Wänden. Im Haus seiner Tante Paulina wäre es eine
unlösbare Aufgabe gewesen, eine Liste über all das aufzustellen,
was es enthielt, von den Klinken und Schlüsseln aus massivem
Silber bis zu den Sammlungen von Elfenbeinschnitzereien,
russischen Lackdosen, chinesischen Porzellanfiguren und was
sonst als Gegenstand der Kunst oder der Besitzgier in Mode
war. Feliciano Rodriguez de Santa Cruz kaufte alles, was seine
Besucher beeindrucken konnte, aber er war kein Barbar wie
andere befreundete Geldmagnaten, die sich Bücher nach dem
Gewicht zulegten und Gemälde nach der Farbe, damit sie zu den
Sesseln paßten. Paulina hatte keinerlei Neigung zu jenen
Schätzen; das einzige Möbel, das sie in ihrem Leben in Auftrag
gegeben hatte, war ihr Bett gewesen, und das hatte sie aus
Gründen getan, die nichts mit Ästhetik oder Schaustellung zu
tun hatten. Was sie interessierte, war Geld, schlicht und einfach
Geld; die Herausforderung bestand darin, es mit List zu
gewinnen, mit Zähigkeit anzuhäufen und mit Schläue zu
investieren. Sie kümmerte sich nicht darum, was für Dinge ihr
Mann erwarb oder wo er sie anbrachte, und das Ergebnis war
ein protziges Bauwerk, in dem seine Bewohner sich fremd
fühlten. Die Gemälde waren riesig, die Rahmen wuchtig, die
Themen gesucht
- Alexander der Große bei der Eroberung
Persiens -, aber es gab auch Hunderte kleinerer, nach Inhalt
gegliederter Bilder, die dem jeweiligen Raum seinen Namen
gaben: das Jagdzimmer, der Ozeansalon, der Aquarellsaal. Die
Vorhänge waren aus schwerem Samt mit unzähligen Fransen,
und die venezianischen Spiegel strahlten den Prunk bis ins
Unendliche zurück: die Marmorsäulen, die hohen Krüge aus
Sèvres-Porzellan, die bronzenen Statuen, die von Blumen und
Früchten überquellenden Schalen. Es gab zwei Musiksalons mit
edlen italienischen Instrumenten - wenn auch in dieser Familie
keiner sie zu spielen verstand und Paulina von Musik
Kopfschmerzen bekam - und eine zweistöckige Bibliothek. In
jedem Winkel standen
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