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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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einem Brandy in der Bar
und einem Besuch im Bordell beschlossen worden wäre, war
unvorstellbar. Es gab mehr als eine viertel Million Prostituierte
im Lande, und ein guter Prozentsatz davon verdiente sich seinen
Lebensunterhalt in San Francisco, von den elenden Sing Song
Girls in Chinatown bis zu feinen jungen Damen aus den
Südstaaten, die der Bürgerkrieg ins Erwerbsleben verschlagen
hatte. Der junge Erbe, der so wenig nachsichtig gegen weibliche
Schwächen war, zeigte eine unendliche Geduld mit der
Rüpelhaftigkeit seiner Kumpane. Das war eine weitere seiner
Eigentümlichkeiten, wie seine Vorliebe für die dünnen
schwarzen Zigaretten, die er sich aus Ägypten schicken ließ, und
für literarische und wirkliche Verbrechen. Er wohnte in dem
elterlichen Palais auf Nob Hill und verfügte über eine luxuriöse
Wohnung im Stadtzentrum, gekrönt von einem geräumigen
Dachgeschoß, das er seine
Garòonniere nannte und wo er
gelegentlich malte und häufig Feste feierte. Er verkehrte in der
Welt der Bohemiens, armer Teufel, die in stoischer und
unabänderlicher Dürftigkeit lebten, Dichter Journalisten,
angehende Schriftsteller und Künstler, Männer ohne Familie, die
ihr Dasein mehr oder weniger krank mit Husten und Reden
verbrachten, auf Pump lebten und keine Uhr besaßen, denn für
sie war die Zeit nicht erfunden worden. Hinter dem Rücken des
chilenischen Aristokraten machten sie sich lustig über seine
Kleidung und seine Manieren, aber sie duldeten ihn, weil sie
immer zu ihm kommen konnten, sei es für ein paar Dollars,
einen Schluck Whisky oder einen Platz in der Mansarde, um
dort eine vernebelte Nacht zu verbringen.
    »Hast du schon mal gemerkt, daß Matías sich wie ein
Schwuler benimmt?« fragte Paulina ihren Mann. »Wie kannst
du etwas so Ungeheuerliches von deinem eigenen Sohn sagen!
Niemals hat es einen von der Sorte in meiner oder in deiner
Familie gegeben!«
»Kennst du einen normalen Mann, der den Farbton des
Halstuchs mit dem der Tapete abstimmt?« fauchte Paulina.
    »Na schön, verdammt noch mal! Du bist seine Mutter, und es
ist deine Sache, ihm eine Braut zu suchen. Der Junge ist schon
dreißig und noch immer unverheiratet. Besser du findest bald
eine, ehe er uns noch Alkoholiker wird oder Tuberkulose kriegt
oder etwas noch Schlimmeres«, warnte Feliciano, ohne zu
ahnen, daß es für sanfte Rettungsmittel bereits zu spät war. In
einer dieser Nächte mit eisigem Wind, wie sie im Sommer in
San Francisco vorkommen können, klopfte Williams, der Butler
im Schwalbenschwanzjackett, an Severos Schlafzimmertür.
    »Entschuldigen Sie die Belästigung, Sir«, murmelte er diskret
hüstelnd, während er eintrat, einen dreiarmigen Kerzenleuchter
in der behandschuhten Hand. »Was ist los, Williams?« fragte
Severo aufgeschreckt, denn es war das erste Mal, daß in diesem
Haus jemand seinen Schlaf störte.
    »Ich fürchte, es gibt eine kleine Unannehmlichkeit. Sie
betrifft Don Matías«, erwiderte Williams mit jener in
Kalifornien unbekannten hochgestochenen britischen
Ehrerbietung, die stets eher ironisch als respektvoll klang.
    Er erklärte, um diese späte Stunde sei eine Bo tschaft
eingetroffen, gesandt von einer Dame zweifelhaften Rufes, einer
gewissen Amanda Lowell, die der junge Herr zu besuchen
pflege, jemand aus einem »anderen Milieu«, wie Williams sagte.
Im Licht der Kerzen las Severo die Nachricht: nur drei Zeilen,
die um sofortige Hilfe für Matías baten. »Wir müssen Onkel und
Tante Bescheid sagen, Matías kann einen Unfall gehabt haben«,
rief Severo erschrocken.
    »Beachten Sie die Adresse, Sir, das ist mitten in Chinatown.
Mir scheint, es wäre vorzuziehen, daß die Herrschaften nichts
von dieser Angelegenheit erführen«, meinte der Butler.
»Na hören Sie! Ich dachte, Sie hätten keine Geheimnisse vor
Tante Paulina.«
    »Ich bemühe mich, ihr Ärgernisse zu ersparen, Sir.«
»Was schlagen Sie also vor?«
»Wenn es nicht zuviel verlangt ist - daß Sie sich ankleiden, zu
    Ihren Waffen greifen und mich begleiten.« Williams hatte einen
Stallburschen geweckt, damit er eine der Kutschen bereitstellte,
aber weil er die Sache so heimlich wie möglich durchführen
wollte, nahm er selbst die Zügel und lenkte die Pferde ohne
Zaudern durch dunkle, leere Straßen zum Chinesenviertel,
unterstützt vom Instinkt der Tiere, denn der Wind löschte immer
wieder die Wagenlampen aus. Severo hatte den Eindruck, daß
der Mann nicht zum ersten Mal durch diese Gassen fuhr.

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