Portrat in Sepia
arbeitete oft bis zu vierzehn Stunden am
Tag in der Anwaltskanzlei, und wann immer er konnte, las und
studierte er. Sie tobten beide gern nackt im Schwimmbecken des
Hauses und forderten sich zu Kämpfen Körper an Körper
heraus. Sie tanzten herum, abwartend, angriffsbereit, und
stürzten sich dann aufeinander, sprangen eng umschlungen,
wälzten sich, bis es endlich dem einen gelang, den ändern gegen
den Boden zu drücken und zu besiegen. Dann lagen sie
schweißüberströmt da, keuchend, hoch erregt. Severo machte
sich mit einem kräftigen Stoß los, ehrlich verwirrt, als wäre die
Ringerei eine unzulässige Umarmung gewesen. Sie setzten sich
auch zusammen und sprachen über Bücher und erklärten sich
die Klassiker. Matías liebte die Dichtkunst, und wenn sie allein
waren, rezitierte er aus dem Gedächtnis und war so bewegt von
der Schönheit der Verse, daß ihm die Tränen über die Wangen
liefen. Auch das beunruhigte Severo, die heftige
Gemütsbewegung schien ihm eine unter Männern verbotene
Form der Vertraulichkeit. Ihn fesselten wissenschaftliche
Fortschritte und Forschungsreisen, und er erzählte Matías davon
in dem vergeblichen Versuch, ihn dafür zu interessieren, aber
die einzigen Neuigkeiten, die seinen Vetter in Wallung zu
bringen vermochten, waren die Greueltaten in der Umgebung.
Matías unterhielt eine seltsame, auf manchem Liter Whisky
gegründete Beziehung zu Jacob Freemont, einem alten und
wenig von Skrupeln geplagten, ewig geldbedürftigen
Zeitungsmenschen, mit dem er die gleiche krankhafte
Faszination für das Verbrechen teilte. Freemont schaffte es
immer noch, Polizeireportagen in den Zeitungen zu
veröffentlichen, aber er hatte schon vor Jahren seinen guten Ruf
endgültig eingebüßt, als er die Geschichte von Joaquin Murieta
erfand, einem angeblichen mexikanischen Banditen, der zur Zeit
des Goldfiebers seine Untaten verübte. Seine Artikel erschufen
eine mythische Gestalt, die willentlich oder unwillentlich den
Haß der weißen Bevölkerung gegen die Hispanos aufreizte. Um
die Gemüter zu besänftigen, boten die Behörden einem gewissen
Captain Harry Love eine Belohnung an, wenn er Jagd auf
Murieta machte. Nachdem der Captain drei Monate lang ganz
Kalifornien vergeblich abgesucht hatte, beschloß er, die Sache
ein für allemal zu beenden: er tötete aus dem Hinterhalt sieben
Mexikaner und kam mit einem Kopf und einer Hand zurück.
Niemand konnte diese Überbleibsel identifizieren, aber Loves
Heldentat beruhigte die Gemüter der Weißen. Die makabren
Trophäen wurden sogar in einem Museum zur Schau gestellt,
obwohl mittlerweile Einverständnis darüber herrschte, daß
Murieta eine monströse Schöpfung der Presse im allgemeinen
und Jacob Freemonts im besonderen war. Diese und andere
Episoden, bei denen die erfinderische Feder des Zeitungsmannes
der Wirklichkeit einiges hinzufügte, verschafften ihm endlich
den wohlverdienten Ruf eines Schwindlers, vor dem sich alsbald
die Türen schlössen. Dank seiner merkwürdigen Beziehung zu
Freemont, dem Kriminalreporter, konnte Matías sich die
ermordeten Opfer ansehen, bevor sie fortgebracht wurden, und
den Autopsien im Leichenschauhaus beiwohnen - Schauspiele,
die sein Empfindungsvermögen ebenso abstießen, wie sie es
erregten. Von diesen Ausflügen in die Unterwelt der Verbrechen
kam er betrunken vor Entsetzen zurück, ging sofort ins
Türkische Bad, wo er Stunden damit verbrachte, den an seiner
Haut haftenden Geruch des Todes auszuschwitzen, und dann
schloß er sich in seiner Garòonniere ein und malte grauenvolle Szenen mit erschlagenen und zerstückelten Menschen.
»Was bedeutet das alles?« fragte Severo, als er zum erstenmal
die dantesken Bilder sah. »Fasziniert dich der Gedanke an den
Tod nicht? Mord ist ein ungeheures Abenteuer, und Selbstmord
ist eine praktische Lösung. Ich spiele mit beiden Ideen. Es gibt
ein paar Leute, die es verdienten, umgebracht zu werden, findest
du nicht? Und was mich angeht, na ja, Vetter, ich gedenke nicht,
an Altersschwäche zu sterben, ich ziehe es vor, meinem Leben
selbst ein Ende zu setzen, und das mit der gleichen Sorgfalt, mit
der ich meine Anzüge auswähle. Und deshalb studiere ich
Verbrechen - um mich zu üben.«
»Du bist verrückt, und außerdem hast du kein Talent zum
Malen«, entschied Severo. »Um Künstler zu sein, braucht man
kein Talent, nur Kühnheit. Hast du schon mal von den
Impressionisten gehört?«
»Nein, aber wenn die armen Teufel so malen,
Weitere Kostenlose Bücher