Portrat in Sepia
Nivea nicht seit
ihrer Kindheit gekannt, dann hätte er angenommen, sie sei in
einem türkischen Serail geschult worden, aber falls es ihn
beunruhigte, wie und wo diese Jungfrau all die
verschiedenartigen Hetärentricks gelernt hatte, war er klug
genug, sie nicht danach zu fragen. Er folgte ihr willig auf der
Reise der Sinne, soweit sein Körper mitmachte, und gab dabei
seine Seele bis zum äußersten hin. Sie suchten einander unter
den Laken in den Formen, die die Pornographen aus der
Bibliothek des ehrenwerten Kriegsministers beschrieben, und in
anderen, die sie selbst erfanden, angestachelt vom Verlangen
und von der Liebe, aber eingeschränkt durch den in Verbände
gewickelten Stumpf und durch die in ihrem Sessel schnarchende
Nonne. Die Morgendämmerung überraschte sie in enger
Umschlingung zuckend, mit den vereinten Mündern gemeinsam
atmend, und kaum deutete sich das erste Morgenlicht im Fenster
an, glitt sie wie ein Schatten zurück in ihr Zimmer. Die Spiele
von einst hatten sich in wahre Marathons der Sinnenlust
verwandelt, sie liebkosten einander mit hungriger Gier, küßten
sich, leckten sich, drangen überall ein, und alles im Dunkeln und
in tiefstem Schweigen, sie verschluckten die Seufzer und bissen
in die Kissen, um die fröhliche Wollust zu ersticken, die sie ein
ums andere Mal emporhob in die Seligkeit während jener allzu
kurzen Nächte. Die Zeit flog, kaum war Nivea wie ein Geist im
Zimmer erschienen, um zu Severo ins Bett zu schlüpfen, schon
war wieder Morgen. Keiner von beiden schloß die Augen, sie
wollten nicht eine Minute von diesem gesegneten
Beisammensein verlieren. Am folgenden Tag dann schlief er
wie ein Neugeborenes bis Mittag, aber sie stand früh auf, blickte
ein wenig verwirrt wie ein Schlafwandler und erledigte die
üblichen Aufgaben. Abends ruhte Severo in seinem Rollstuhl
auf der Terrasse und sah zu, wie die Sonne im Meer versank,
während seine Ehefrau neben ihm saß, Deckchen bestickte und
dabei einschlief. In Gegenwart anderer benahmen sie sich wie
Geschwister, berührten sich nicht und sahen einander kaum an,
aber die Luft um sie herum war mit Sehnsucht geladen. Den
ganzen Tag zählten sie die Stunden, warteten mit wütender
Ungeduld darauf, daß sie sich wieder im Bett umarmen konnten.
Was sie in den Nächten taten, hätte den Arzt ebenso entsetzt wie
die beiden Familien, wie die gesamte Gesellschaft, ganz zu
schweigen von der Nonne. Unterdessen redeten Verwandte und
Freunde über Niveas Selbstverleugnung - dieses so reine und so
katholische junge Mädchen zu platonischer Liebe verdammt! und über Severos moralische Stärke - ein Bein verloren und sein
Leben ruiniert bei der Verteidigung des Vaterlandes! Die
Klatschbasen verbreiteten das Gerücht, er habe nicht nur ein
Bein auf dem Schlachtfeld verloren, sondern auch die Attribute
der Männlichkeit. Ach, die beiden Armen, zischelten sie unter
Seufzern, ohne zu ahnen, wie gut es diesem ausschweifenden
Paar erging. Etwa eine Woche nachdem die Nonne mit
Schokolade betäubt worden war und sie sich geliebt hatten wie
die Babylonier, war die Operationswunde vernarbt und das
Fieber verschwunden. Keine zwei Monate später ging Severo an
Krücken und fing an, von einem Holzbein zu reden, während
Nivea ihr Innerstes nach außen stülpte, eingeschlossen in
irgendeines der dreiundzwanzig Badezimmer des Palais. Als sie
nicht länger umhinkonnten, der Familie mitzuteilen, daß Nivea
schwanger war, war die allgemeine Verblüffung so ungeheuer,
daß es schließlich hieß, diese Schwangerschaft sei ein Wunder.
Am meisten empört war zweifellos die Nonne, aber Severo und
Nivea hatten sie immer im Verdacht, daß die fromme Frau trotz
der beträchtlichen Baldriangaben die Gelegenheit genutzt hatte,
sehr viel zu lernen; sie hatte sich schlafend gestellt, um sich
nicht des Vergnügens zu berauben, sie zu beobachten. Der
einzige, der sich vorstellen konnte, wie sie es gemacht hatten,
und der die Geschicklichkeit des Paares mit herzlichem Lachen
belohnte, war Minister Vergara. Als Severo mit seinem
künstlichen Bein die ersten Schritte gehen konnte und Niveas
Bauch nicht mehr zu verstecken war, half er ihnen, sich in einem
eigenen Haus einzurichten, und gab Severo Arbeit. »Das Land
und die liberale Partei brauchen Leute von deiner Kühnheit«,
sagte er, obwohl, der Wahrheit die Ehre, Nivea die Kühne
gewesen war.
Ich habe meinen Großvater Feliciano Rodriguez de Santa
Cruz nie kennengelernt, er
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