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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Eliza und mußte schlucken. Die beiden Großmütter
kamen an Ort und Stelle überein, daß es, um ihre Enkelin nicht
noch mehr zu verwirren, am besten sei, sie endgültig von ihrer
Familie mütterlicherseits zu trennen, daß sie nie wieder
chinesisch sprechen und keinerlei Berührung mit ihrer
Vergangenheit haben sollte. Als Fünfjährige denkt man noch
nicht vernünftig, meinten sie, mit der Zeit werde die kleine LaiMing ihre Herkunft ebenso vergessen wie auch die verstörenden
letzten Ereignisse. Eliza verpflichtete sich, auf keinerlei Art
Verbindung zu dem Kind aufzunehmen, und Paulina, sie so
innig zu lieben wie die Tochter, die sie sich so sehr gewünscht,
aber nie bekommen hatte. Sie verabschiedeten sich mit einer
kurzen Umarmung voneinander, und Eliza verschwand durch
eine Dienstbotentür, damit ihre Enkelin nicht sah, wie sie
fortging.
    Ich bedaure es sehr, daß diese beiden guten Damen, meine
Großmütter Eliza und Paulina, über mein Schicksal entschieden,
ohne mich daran teilhaben zu lassen. Mit der gleichen
unglaublichen Entschlossenheit, mit der sie als Achtzehnjährige
mit geschorenem Kopf aus einem Kloster ausriß, um mit ihrem
heimlichen Geliebten zu fliehen, und als Achtundzwanzigjährige
ein Vermögen anhäufte, als sie Gletschereis auf Schiffe laden
ließ, machte sich meine Großmutter Paulina daran, meine
Herkunft auszulöschen. Und hätte ihr das Schicksal nicht ein
Bein gestellt und in letzter Stunde ihre Pläne vereitelt, dann
wäre ihr das auch gelungen. Ich erinnere mich sehr gut an den
ersten Eindruck, den ich von ihr hatte. Ich sehe mich einen
Palast betreten, der auf einem Hügel steht, sehe mich durch
Gärten mit spiegelndem Wasser und beschnittenen Sträuchern
gehen, sehe die Marmorstufen mit den Bronzelöwen in
Lebensgröße auf beiden Seiten der Treppe, die Doppeltür aus
dunklem Holz und die riesige Halle, die ihr Licht von oben
durch die farbigen Fenster einer gewaltigen Kuppel erhält. Noch
nie war ich an einem solchen Ort gewesen, ich fühlte mich
ebenso bezaubert wie verängstigt. Plötzlich stand ich vor einem
vergoldeten Sessel, und darin saß Paulina del Valle, die Königin
auf ihrem Thron. Da ich sie inzwischen viele Male in
ebendiesem Sessel sitzen sah, fällt es mir nicht schwer, mir
vorzustellen, wie ich sie an diesem ersten Tag erblickte:
herausgeputzt mit einer Überfülle an Juwelen und ausreichend
Stoff, um Vorhänge draus zu nähen, kurz: eindrucksvoll. Neben
ihr verschwand der Rest der Welt. Sie hatte eine schöne Stimme,
viel natürliche Eleganz und weiße, ebenmäßige Zähne - eine
hervorragende Nachahmung aus Porzellan. Zu jener Zeit hatte
sie sicherlich schon graue Haare, aber sie färbte sie in
demselben Kastanienbraun, das sie in ihrer Jugend gehabt
hatten, und vermehrte sie durch eine Reihe so geschickt
verteilter künstlicher Haarteile, daß sie sich in einem üppigen
Knoten förmlich türmten. Ich hatte noch nie ein Wesen von
solchem Umfang gesehen, das den Ausmaßen und der Pracht
seines Hauses so vollendet angepaßt war. Heute, da ich endlich
weiß, was in den Tagen vor diesem Augenblick geschehen war,
begreife ich, daß es ungerecht ist, mein Entsetzen dieser
gewaltigen Großmutter allein zuzuschreiben; als ich zu ihr
gebracht wurde, war der Schrecken Teil meines Gepäcks wie
der kleine Koffer und die chinesische Puppe, die ich beide gut
festhielt. Nachdem Williams mich durch den Garten geführt und
mich dann in ein riesiges leeres Speisezimmer vor einen Becher
mit Eis gesetzt hatte, brachte er mich in den Saal der Aquarelle,
wo, wie ich annahm, meine Großmutter Eliza mich erwartete,
aber statt dessen traf ich auf Paulina, die sich mir vorsichtig
näherte, als wollte sie eine widerspenstige Katze einfangen, und
zu mir sagte, sie liebe mich sehr, und ab heute würde ich in
diesem großen Haus leben und viele Puppen haben, auch ein
Pony und eine kleine Kutsche. »Ich bin deine Großmutter«,
erklärte sie. »Wo ist meine richtige Großmutter?« soll ich
gefragt haben.
    »Ich bin deine richtige Großmutter, Aurora. Die andere
Großmutter ist auf eine lange Reise gegangen«, antwortete
Paulina.
    Ich rannte los, quer durch die Halle mit der Kuppel, verlief
mich in die Bibliothek, geriet in das Speisezimmer und kroch
unter den Tisch, wo ich mich zusammenkauerte, stumm und
verstört. Es war ein riesiges Stück Möbel mit einer Platte aus
grünem Marmor, die Beine waren als Karyatiden geschnitzt,
unmöglich, ihn zu

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