Portrat in Sepia
bete«, antwortete die junge
Frau. Sie wartete, bis das Haus schlief, und als sie sicher war,
daß sich nichts mehr regte außer dem Wind in den Bäumen des
Gartens, erhob sich Nivea im Nachthemd, lief durch die langen
Flure des fremden Palais und trat in Severos Zimmer. Die
Nonne, die angestellt worden war, um den Schlaf des Kranken
zu bewachen, lag in einem Sessel, die Beine weit von sich
gestreckt, und schlief tief und fest, aber Severo war wach und
erwartete sie. Sie hob Schweigen gebietend einen Finger an die
Lippen, löschte die Gaslampen und schlüpfte ins Bett.
Nivea war bei den Nonnen erzogen worden und stammte aus
einer altmodischen Familie, in der die Funktione n des
menschlichen Körpers niemals erwähnt wurden und schon gar
nicht diejenigen, die mit der Fortpflanzung verbunden waren,
aber sie war zwanzig Jahre alt, hatte ein leidenschaftliches Herz
und ein gutes Gedächtnis. Sie erinnerte sich sehr gut an die
verstohlenen Spiele mit ihrem Vetter in den dunklen Winkeln,
an die Form von Severos Körper, die ängstliche Begierde der
immer unbefriedigten Lust, die Faszination der Sünde. Zu jener
Zeit wurden sie beide durch Scham und Schuld gehemmt und
kamen zitternd aus ihren verbotenen Winkeln, erschöpft und die
Haut in Flammen. In den Jahren, in denen sie voneinander
getrennt waren, hatte sie Zeit gehabt, jeden mit ihrem Vetter
geteilten Augenblick durchzugehen und die Neugier der
Kindheit in eine tiefe Liebe zu verwandeln. Außerdem hatte sie
die Bibliothek ihres Onkels José Francisco Vergara gründlich
genutzt, dieses liberal und modern denkenden Mannes, der
keinerlei Beschränkung seiner intellektuellen Interessen
hinnahm und religiöse Zensur schon gar nicht duldete. Während
Nivea die Bücher über Wissenschaft, Kunst und Krieg nach
ihrer Thematik einordnete, entdeckte sie zufällig den Weg, ein
Geheimfach zu öffnen, und stand vor einer keineswegs zu
verachtenden Sammlung von Romanen, die auf der schwarzen
Liste der Kirche standen, und von erotischen Texten
einschließlich einer vergnüglichen Kollektion japanischer und
chinesischer Zeichnungen mit ineinander verwickelten Paaren in
anatomisch unmöglichen Positionen, die aber durchaus imstande
waren, selbst den größten Asketen zu inspirieren, um so mehr
eine so phantasiebegabte Person wie Nivea. Die lehrreichsten
Texte jedoch boten die pornographischen Romane einer Anonymen Dame, aus dem Englischen sehr schlecht ins
Spanische übersetzt, die das junge Mädchen einen nach dem
andern in ihrer Handtasche versteckt mit nach Hause nahm,
sorgfältig las und heimlich an seinen alten Platz zurückstellte,
eine unnötige Vorsicht, denn ihr Onkel war mit Kriegführen
beschäftigt, und niemand sonst in dem Palais betrat die
Bibliothek. Geleitet von diesen Büchern, erforschte sie ihren
eigenen Körper, lernte die Grundbegriffe der ältesten Kunst der
Menschheit und bereitete sich auf den Tag vor, an dem sie die
Theorie in die Praxis umsetzen konnte. Sie wußte natürlich, daß
sie eine schreckliche Sünde beging - Lust ist immer Sünde -,
aber sie verzichtete darauf, das Thema mit ihrem Beichtvater zu
besprechen, denn ihr schien, der Spaß, den sie sich leistete und
den sie sich in Zukunft leisten würde, war die Gefahren der
Hölle wert. Sie betete darum, daß der Tod sie nicht irgendwann
plötzlich ereilte und daß sie es vor dem letzten Atemzug noch
schaffen werde, die köstlichen Stunden zu beichten, die die
Bücher ihr schenkten. Niemals hätte sie sich vorgestellt, daß
dieser Einzelunterricht ihr einmal dazu dienen würde, dem
Mann, den sie liebte, das Leben wiederzugeben, und schon gar
nicht, daß sie es drei Meter von einer schlafenden Nonne
entfernt tun würde. Nach der ersten Nacht mit Severo regelte sie
letzteres so, daß sie, wenn sie sich abends von ihm
verabschiedete, um ihr eigenes Zimmer aufzusuchen, der Nonne
eine Tasse heiße Schokolade und ein paar Kekse mitbrachte. Die
Schokolade enthielt eine Dosis Baldrian, die selbst ein Kamel
eingeschläfert hätte. Severo hätte nie gedacht, daß seine so
vernünftige Cousine derlei akrobatische Kunststückchen
beherrschte. Die Wunde am Bein, die immer noch stechende
Schmerzen verursachte, dazu das Fieber und die Schwäche
nötigten ihm eine passive Rolle auf, aber was ihm an Kraft
fehlte, machte sie durch Initiative und Wissen wett. Severo war
sicher, daß diese Liebesspiele unchristlich waren, aber das
hinderte ihn nicht, sie voll zu genießen. Hätte er
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