Portrat in Sepia
Herkunft und den Akzent des Küchenpersonals verzieh. Wie sie
es im Scherz gesagt hatte: niemand lud sie ein, sie bekam nicht
mehr als erste Einladungen zu den Festen, sie wurde nicht mehr
gebeten, ein Krankenhaus oder ein Denkmal einzuweihen, ihr
Name wurde in den Gesellschaftsspalten nicht mehr genannt,
und in der Oper wurde sie kaum gegrüßt. Sie war
ausgeschlossen. Auf der anderen Seite war es sehr schwierig
geworden, ihre Geschäfte auszudehnen, denn ohne ihren Mann
hatte sie niemanden, der sie im finanziellen Milieu vertrat. Sie
stellte eine genaue Berechnung ihres Vermögens an und
erkannte, daß ihre drei Söhne das Geld schneller zum Fenster
hinauswarfen, als sie es verdienen konnte, überall zeigten sich
Schulden, und Feliciano hatte vor seinem Tod einige miserable
Investitionen getätigt, ohne sich mit ihr zu beraten. Sie war nicht
so reich, wie sie gedacht hatte, aber doch weit davon entfernt,
sich für ruiniert zu halten. Sie rief Williams herein und
beauftragte ihn, einen Dekorateur anzustellen, um die Salons
umzugestalten, einen Küchenchef, um eine Reihe von Banketten
zu planen, die sie anläßlich des Neujahrsfestes geben wollte,
einen Reiseagenten, um mit ihm über Ägypten zu sprechen, und
einen Schneider, um ihre neuen Kleider zu entwerfen. Mit
diesen Sofortmaßnahmen gegen die Witwenschaft war sie
beschäftigt, als in ihrem Hause ein in weiße Popeline
gekleidetes kleines Mädchen mit einem Spitzenhäubchen und in
Lackschühchen an der Hand einer Frau in Trauerkleidung
erschien. Das waren Eliza Sommers und ihre Enkelin Aurora,
die Paulina fünf Jahre lang nicht gesehen hatte.
»Hier bringe ich Ihnen die Kleine, wie Sie es wünschten,
Paulina«, sagte Eliza traurig. »Mein Gott, was ist passiert?«
fragte Paulina verblüfft.
»Mein Mann ist gestorben.«
»Also sind wir beide Witwen«, murmelte Paulina. Eliza
erklärte ihr, sie könne ihre Enkelin nicht weiter versorgen, weil
sie den Leichnam Tao Chi’ens nach China überführen müsse,
wie sie es ihm immer versprochen habe. Paulina rief Williams,
damit er das Kind in den Garten begleitete und ihm die Pfauen
zeigte, während sie mit Eliza sprach. »Wann wollen Sie
zurückkehren, Eliza?« fragte sie. »Es kann eine sehr lange Reise
werden. »Ich möchte nicht, daß ich die Kleine liebgewinne und
sie in ein paar Monaten wieder hergeben muß. Das würde mir
das Herz brechen.«
»Ich verspreche Ihnen, das wird nicht geschehen, Paulina. Sie
können meiner Enkelin ein viel besseres Leben bieten, als ich
ihr geben kann. Ich gehöre nirgends hin. Ohne Tao ist es für
mich sinnlos geworden, in Chinatown zu leben, ich passe auch
nicht zu den Amerikanern, und in Chile habe ich ebensowenig
zu suchen. Ich bin überall eine Fremde, aber für Lai-Ming
wünsche ich mir Wurzeln, daß sie eine Familie bekommt und
eine gute Erziehung. Eigentlich müßte Severo del Valle, ihr
gesetzlicher Vater, sich um sie kümmern, aber der ist weit von
hier und hat selbst Kinder. Weil Sie die Kleine immer haben
wollten, dachte ich…«
»Das haben Sie ganz richtig gemacht, Eliza«, unterbrach
Paulina sie.
Paulina hörte sich bis zum Ende die Tragödie an, die über
Eliza gekommen war, und erfuhr alle Einzelheiten über Aurora
einschließlich der Rolle, die Severo in ihrem Schicksal spielte.
Sie merkte gar nicht, wie Groll und Stolz sich verflüchtigten,
und nahm Eliza tief gerührt in die Arme, die Frau, die sie noch
Minuten zuvor als ihre schlimmste Feindin angesehen hatte,
dankte ihr für die unglaubliche Großmut, ihr die Enkelin zu
überlassen, und schwor ihr, sie werde eine wahre Großmutter
sein, nicht so gut, wie Eliza und Tao Chi’en als Großeltern es
sicherlich gewesen seien, aber bereit, den Rest ihres Lebens der
Aufgabe zu widmen, Aurora zu behüten und glücklich zu
machen. Das werde für sie das Wichtigste auf dieser Welt sein.
»Lai-Ming ist ein aufgewecktes Kind. Sie wird bald fragen, wer
ihr Vater ist. Bis vor kurzem glaubte sie noch, ihr Vater, ihr
Großvater, ihr bester Freund und Gott selbst seien ein und
derselbe Mensch: Tao Chi’en«, sagte Eliza. »Was soll ich ihr
sagen, wenn sie fragt?«
»Sagen Sie ihr die Wahrheit, die ist immer am leichtesten zu
verstehen«, riet Eliza ihr. »Daß mein Sohn Matías ihr leiblicher
Vater ist und mein Neffe Severo ihr gesetzlicher Vater?«
»Warum nicht? Und sagen Sie ihr, daß ihre Mutter Lynn
Sommers hieß und eine gute und schöne junge Frau war«,
murmelte
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