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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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meine
Großmutter behauptete, er sei nicht für menschliche Kehlen
gemacht, sondern zum Ablösen von Farbe. Jeder Gutsherr, der
etwas auf sich hielt, baute Reben an und stellte seinen eigenen
Wein her, manche besseren als andere, aber dieser war schon
besonders herb. In den hölzernen Kassettendecken bauten
Spinnen ihre zarten Spitzengewebe, liefen Mäuse mit ruhigem
Herzen, denn die Katzen des Hauses konnten so hoch doch nicht
klettern. Die Wände, weißgekalkt oder indigoblau gestrichen,
zeigten sich nackt, aber überall gab es riesige Heiligenstatuen
und Bilder des gekreuzigten Christus. Am Eingang stand eine
Puppe - der Kopf mit Menschenhaar sowie Hände und Füße aus
Holz, die Augen aus blauem Glas -, die die Jungfrau Maria
darstellte und ständig mit frischen Blumen und einem
brennenden Altarlicht versehen war, vor der wir uns alle beim
Vorbeigehen bekreuzigten, keiner kam herein oder ging hinaus,
ohne die Madonna zu grüßen. Einmal in der Woche wurde ihr
Gewand gewechselt, sie hatte einen ganzen Schrank voll mit
Kleidern im Renaissancestil, und für die Prozessionen
schmückte man sie mit Juwelen und einem Hermelincape, das
mit den Jahren ein bißchen abgetragen aussah. Wir aßen viermal
am Tag in langen Zeremonien, die kaum zu Ende waren, wenn
die nächste anfing, so daß meine Großmutter nur zum Schlafen,
zu ihren Inspektionen und zum Gang in die Kapelle vom Tisch
aufstand. Um sieben Uhr früh wohnten wir der Messe und der
Kommunion bei unter Leitung von Pater Teodoro Riesco, der
bei meinen Onkeln wohnte, ein schon recht bejahrter Priester,
der die Gabe der Duldsamkeit besaß; in seinen Augen gab es
keine unverzeihliche Sünde, ausgenommen der Verrat des
Judas; selbst der fürchterliche Godoy konnte, seiner Meinung
nach, Trost im Schoße des Herrn finden. »Das nun gewiß nicht,
Padre, denn wenn es für Godoy Verzeihung gibt, dann will ich
lieber mit Judas und allen meinen Kindern in die Hölle gehen«,
erwiderte ihm Nivea. Nach Sonnenuntergang vereinigte sich die
Familie mit den Kindern, Angestellten und Pächtern zum Gebet.
Jeder nahm eine brennende Kerze, und wir marschierten
hintereinander zu der rustikalen Kapelle im Südflügel des
Hauses. Ich begann diese täglichen Riten zu mögen, die den
Kalender, die Jahreszeiten und das Leben kennzeichneten, es
machte mir Spaß, die Altarblumen zu ordnen und die goldenen
Hostienkelche zu put zen. Die heiligen Worte waren Poesie:
    Nicht bewegt mich, mein Gott, dich zu lieben, der Himmel,
den du mir versprochen, noch bewegt mich die allseits
gefürchtete Hölle, um ihretwegen dich nie mehr zu kränken.
    Du bist es, Herr, der mich bewegt, wenn ich sehe ans Kreuz
dich geschlagen, verspottet, verhöhnt, deinen Körper voll
Wunden zu sehen bewegt mich, die schimpflichen
Schmähungen und dein Tod.
    Deine Liebe bewegt mich, bewegt mich so sehr, daß, gab’s
keinen Himmel, ich dich doch liebte, und gab’s keine Hölle, ich
dich fürchtete.
    Du mußt mir nichts schenken, weil ich dich liebe, denn selbst
wenn ich nicht hoffte, was ich erhoffe, ich würde dich lieben, so
wie ich dich liebe.
    Ich glaube, daß mehr als nur ein bißchen auch in dem zähen
Herzen meiner Großmutter weich wurde, denn seit diesem
Aufenthalt auf dem Lande näherte sie sich nach und nach der
Religion, begann in die Kirche zu gehen, weil es ihr Freude
machte und nicht nur, um gesehen zu werden, hörte auf, den
Klerus aus purer Gewohnheit zu verfluchen, wie sie es früher
getan hatte, und als wir nach Santiago zurückkehrten, ließ sie in
ihrem Haus an der Straße
Ejército Libertador eine schöne
Kapelle mit farbigen Fenstern bauen, in der sie auf ihre Art
betete. Der Katholizismus war ihr nicht bequem, desha lb paßte
sie ihn sich an. Nach dem Abendgebet kehrten wir mit unseren
Kerzen in den großen Salon zurück, wo wir Milchkaffee
tranken, während die Frauen webten oder stickten und wir
Kinder uns bei den Geschichten über Gespenster gruselten, die
die Erwachsenen uns erzählten. Nichts flößte uns mehr Schauder
ein als der imbunche, ein unheilvolles Geschöpf aus der
Mythologie der Eingeborenen. Es hieß, die Indios raubten
Neugeborene, um sie in imbunches zu verwandeln, sie nähten
ihnen die Lider und den Anus zu, zogen sie in Höhlen auf,
ernährten sie mit Blut, brachen ihnen die Beine, drehten ihnen
den Kopf nach hinten und steckten ihnen einen Arm unter die
Haut am Rücken, wodurch sie jede Art übernatürlicher Kräfte
erwarben.

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