Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
beiden Kutschen
der Familie sowie vier bewaffnete Diener zu Pferde bereit, uns
aus Santiago fortzubringen. Der Rest des Dienstpersonals hatte
sich in die nächste Kirche geflüchtet, wo weitere Kutschen sie
etwas später abholen würden. Frederick Williams wollte uns
nicht begleiten. »Ich bin verantwortlich für das, was geschehen
ist, und werde bleiben, um das Haus zu schützen«, sagte er.
»Ihr Leben ist viel wertvoller als dieses Haus und alles, was
ich habe, bitte, kommen Sie mit uns«, flehte Paulina del Valle
ihn an.
»Sie werden nicht wagen, mich anzurühren, ich bin britischer
Staatsbürger.«
»Nun seien Sie nicht so naiv, Frederick, glauben Sie mir, in
diesen Zeiten ist keiner sicher!« Aber nichts konnte ihn
überreden. Er gab mir einen Kuß auf jede Wange, hielt lange die
Hände Paulinas in den seinen und verabschiedete sich von
Nivea, die nach Luft schnappte wie ein Meeraal auf trockenem
Strand, ob vor Aufregung oder schlicht der Schwangerschaft
wegen, weiß ich nicht. Wir fuhren los, als eine schüchterne
Sonne eben erst die Schneegipfel der Kordillere anleuchtete, der
Regen hatte aufgehört, und ein wolkenloser Himmel kündigte
sich an, aber ein kalter Wind wehte und drang durch die
Türritzen der Kutsche. Meine Großmutter hielt mich sacht auf
ihrem Schoß, in ihre Fuchsfellpelerine gehüllt, dieselbe, deren
Schwänze Caramelo seinerzeit in einem Anfall von Geilheit
zerfetzt hatte. Sie hatte den Mund vor Zorn und Angst fest
zusammengepreßt, die Körbe mit dem Essen aber nicht
vergessen, und kaum hatten wir Santiago in Richtung Süden
hinter uns gelassen, öffnete sie sie und ließ ihrer Eßlust freien
Lauf mit gebratenen Hähnchen, hartgekochten Eiern,
Blätterteigpasteten, Käse, Brötchen, Wein und Saft, und so ging
es die ganze Reise.
Die del Valles, die sich aufs Land geflüchtet hatten, als im
Januar der Aufstand aufflammte, empfingen uns begeistert, denn
wir kamen als Abwechslung nach Monaten gräßlicher
Langeweile, und wir brachten Nachrichten. Die Nachrichten
waren miserabel, aber keine zu bekommen war schlimmer. Ich
traf meine Vettern und Cousinen wieder, und diese Tage, die so
voller Anspannung für die Erwachsenen waren, waren Ferien für
die Kinder; wir stopften uns voll mit frisch gemolkener Milch,
süßem Quark und Eingemachtem, das seit dem Sommer hier
lagerte, ritten auf den Pferden, wateten im Regen durch den
Schlamm, tobten in den Ställen und in den Mansarden, spielten
Theater und bildeten einen etwas hoffnungslosen Chor, weil
keiner von uns musikalisch begabt war. Zum Haus kam man auf
einem gewundenen, von hohen Pappeln gesäumten Weg, der
durch ein ziemlich wildes Tal führte, in dem der Pflug wenig
Spuren hinterlassen hatte und die Koppeln leer waren; von Zeit
zu Zeit sahen wir Reihen von trockenen und wurmstichigen
Pfählen, die, wie meine Großmutter sagte, Weinstöcke waren.
Wenn ein Bauer unseren Weg kreuzte, nahm er den Strohhut ab
und begrüßte die Herrschaften mit zu Boden geschlagenem
Blick, »Euer Gnaden«, sagte er zu uns. Meine Großmutter war
müde und schlecht gelaunt auf dem Lande angekommen, aber
nach ein paar Tagen spannte sie einen Regenschirm auf, und mit
Caramelo im Gefolge wanderte sie sehr neugierig durchs
Gelände. Ich sah sie die windschiefen Pfähle für die Weinranken
prüfen und Erdproben aufsammeln, die sie in geheimnisvollen
Tütchen verwahrte. Das Haus, das die Form eines U hatte, war
aus Adobeziegeln erbaut, es sah wuchtig und solid e aus und
nicht ein bißchen elegant, aber die Mauern strahlten einen
gewissen Zauber aus, an ihnen war viel Geschichte
vorbeigezogen. Im Sommer war es ein Paradies mit den von
süßen Früchten überladenen Bäumen, dem Duft der Blumen,
dem fröhlichen Zwitschern der Vögel und dem Summen
fleißiger Bienen, aber im Winter sah es unter dem ständigen
Nieselregen und dem ewig bedeckten Himmel aus wie eine
mißvergnügte alte Dame. Der Tag begann in aller Frühe und
endete mit dem Sonnenuntergang, der Stunde, in der wir uns in
den riesigen, von Kerzen und Kerosinlampen schwach erhellten
Zimmern versammelten. Es war kalt, aber wir setzten uns um
runde, mit einem dicken Tuch bedeckte Tische, unter die
Becken mit Kohlenglut gestellt wurden, an denen wir uns die
Füße wärmten; wir tranken Rotwein, der mit Zucker,
Orangenschale und Zimt aufgekocht war, die einzige Art, in der
man ihn genießen konnte. Die del Valles produzierten diesen
derben Wein zum Verbrauch in der Familie, aber

Weitere Kostenlose Bücher