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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ging plötzlich die Tür auf, und herein stürzte
unangemeldet Señorita Pineda, in klatschnassem Mantel,
verstört und kreidebleich.
»Was ist denn los?« fragte meine Großmutter, verärgert über
die Unhöflichkeit der Lehrerin.
Señorita Pineda tischte uns
atemlos ihre Geschichte auf, wie Godoys Banditen die
Buchhandlung Siglo de Oro durchsucht hätten, jeden verprügelt
hätten, der sich dort aufhielt, und dann Don Pedro Tey in einer
geschlossenen Kutsche mitgenommen hätten. Meine Großmutter
saß mit der Gabel in der Luft und erwartete etwas mehr, was das
skandalöse Erscheinen dieser Frau rechtfertigen könnte, sie
kannte Señor Tey kaum und verstand nicht, weshalb die
Nachricht so dringend war. Sie hatte keine Ahnung, daß der
Buchhändler fast täglich ins Haus kam, durch die Hintertür
eintrat und auf einem unter ihrem Dach versteckten
Druckapparat seine revolutionären Flugblätter herstellte. Nivea,
Williams und Matilde Pineda hingegen konnten sich die Folgen
vorstellen, wenn der unglückliche Tey zum Geständnis
gezwungen wurde, und sie wußten, daß es früher oder später
dazu kommen würde, denn Godoys Methoden ließen für Zweifel
keinen Platz. Ich sah, wie die drei entsetzte Blicke wechselten,
und obwohl ich die Tragweite dessen, was geschehen war, nicht
begriff, konnte ich mir doch den Grund dafür vorstellen. »Ist es
wegen der Maschine, die wir im Hinterzimmer haben?« fragte
ich.
»Was für eine Maschine?« rief meine Großmutter aus. »Gar
keine Maschine«, erwiderte ich, als mir unser
Geheimabkommen einfiel, aber Paulina ließ mich nicht
weiterreden, sie nahm mich beim Ohr und schüttelte mich mit
einer bei ihr ungewohnten Wut. »Was für eine Maschine, habe
ich dich gefragt, verdammte Rotznase!« schrie sie mich an.
»Lassen Sie die Kleine in Ruhe, Paulina. Sie hat damit nichts zu
tun. Es geht um einen Druckapparat…«, sagte Frederick
Williams.
»Einen Druckapparat? Hier, in meinem Hause?« brüllte meine
Großmutter. »Ich fürchte, ja, Tante«, flüsterte Nivea. »Verflucht
noch mal! Was machen wir jetzt!«, und die Matriarchin ließ sich
auf den Stuhl fallen, schlug die Hände vors Gesicht und
murmelte, ihre eigene Familie habe sie verraten, für eine
derartige Unvernunft würden wir zahlen müssen, wir seien ein
Haufen Dummköpfe, sie habe Nivea mit offenen Armen
aufgenommen, und so werde ihr das nun heimgezahlt, Frederick
wisse ja vielleicht nicht, daß dies sie alle den Hals kosten könne,
wir seien hier nicht in England oder in Kalifornien, wann werde
er endlich verstehen, wie die Dinge in Chile liefen, und die
Señorita Pineda wolle sie nicht wiedersehen, nie mehr im
ganzen Leben, und sie verbiete ihr, jemals wieder ihr Haus zu
betreten oder das Wort an ihre Enkelin zu richten. Frederick
Williams rief nach der Kutsche und verkündete, er fahre aus, um
»das Problem zu lösen«, was, weit davon entfernt, meine
Großmutter zu beruhigen, ihr Entsetzen nur noch erhöhte.
Señorita Pineda winkte mir zum Abschied zu und ging; ich habe
sie erst viele Jahre später wiedergesehen. Williams fuhr direkt
zur nordamerikanischen Gesandtschaft und bat dort, Mister
Patrick Egan sprechen zu können, seinen Freund und
Bridgepartner, der um diese Stunde gerade einem offiziellen
Bankett mit anderen Angehörigen des Diplomatischen Corps
vorstand. Egan unterstützte die Regierung, aber auch er war
zutiefst Demokrat, wie fast alle Yankees, und verabscheute
Godoys Methoden. Er hörte sich an, was Frederick Williams
ihm zu sagen hatte, und machte sich sofort auf, um mit dem
Innenminister zu sprechen, der ihn noch am selben Abend
empfing, ihm jedoch erklärte, es stehe nicht in seiner Macht,
sich für den Verhafteten einzusetzen. Er erreichte immerhin eine
Unterredung mit dem Präsidenten früh am fo lgenden Tag. Dies
war die längste Nacht, die ich im Haus meiner Großmutter erlebt
habe. Keiner ging schlafen. Ich verbrachte sie
zusammengekauert mit Caramelo in einem Sessel in der Halle,
während die Angestellten mit Taschen und Koffern geschäftig
vorbeiliefen, dazwischen die Kindermädchen und Ammen mit
Niveas schlafendem Nachwuchs auf den Armen und die
Köchinnen mit Körben voller Lebensmittel. Selbst zwei Käfige
mit den Lieblingsvögeln meiner Großmutter wurden in die
Kutschen verladen. Williams und der Gärtner, ein
vertrauenswürdiger Mann, nahmen den Drucker auseinander,
begruben die Teile unter dem dritten Patio und verbrannten alle
verräterischen Papiere. In der Frühe waren die

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