Portrat in Sepia
verteilten Kerzen. Drei brennende
Kohlenbecken in den Ecken hielten den Raum wesentlich
wärmer, als es im übrigen Haus war, und die Eukalyptusblätter,
die in einem Topf kochten, erfüllten die Luft mit frischem
Waldesduft. Nivea, in einem kurzen Hemd, einer Weste und
dicken Wollsocken, hockte auf einer Decke, beide Hände um
zwei dicke Seile geklammert, die von den Deckenbalken
herabhingen, und im Rücken von der Meica gestützt, die leise
Wörter in einer fremden Sprache murmelte. Der vorgewölbte
und von blauen Venen überzogene Bauch der Mutter erschien
monströs im flackernden Licht der Kerzen, als gehörte er nicht
zu ihrem Körper und wäre nicht einmal menschlich. Nivea
preßte schweißüberströmt, das Haar klebte ihr in der Stirn, die
geschlossenen Augen waren von violetten Kreisen umgeben, die
Lippen geschwollen. Eine meiner Tanten kniete betend vor
einem Tischchen, auf der eine kleine Statue des heiligen Ramón
Nonato, des Beschützers der Gebärenden, stand, des einzigen
Heiligen, der nicht auf normale Weise zur Welt gekommen war,
sondern den sie mit einem Schnitt aus dem Leib seiner Mutter
geholt hatten; eine andere Tante stand neben der India mit einer
Schüssel voll heißem Wasser und einem Stapel sauberer Tücher.
Es gab eine kurze Pause, in der Nivea tief Luft holte und die
Meica sich vor sie kniete und ihr mit ihren schweren Händen
den Bauch massierte, als wollte sie es dem Kind innen bequem
machen. Plötzlich tränkte ein Strahl einer blutigen Flüssigkeit
die Decke. Die Meica fing ihn mit einem Tuch auf, das sofort
ebenfalls durchnäßt war, dann ein weiteres und noch ein
weiteres. »Segen, Segen, Segen«, hörte ich die India auf
spanisch sagen. Nivea klammerte sich an die Seile und preßte
mit soviel Kraft, daß die Sehnen des Nackens und die Venen an
den Schläfen kurz vorm Bersten zu sein schienen. Ein dumpfes
Brüllen brach aus ihrem Mund, und dann erschien etwas
zwischen ihren Beinen, etwas, was die Meica sanft auffing und
einen Augenblick hielt, bis Nivea keuchend Luft geholt hatte,
abermals preßte und das Kind völlig herauskam. Ich gla ubte, ich
müßte vor Entsetzen und Ekel ohnmächtig werden, und wich
taumelnd den endlosen, finsteren Gang entlang zurück. Eine
Stunde später, während die Dienstmädchen die schmutzigen
Tücher und alles, was sonst gebraucht worden war,
einsammelten, um es zu
verbrennen
- so vermied man
Blutstürze, wie sie glaubten -, und die Meica die Plazenta und
die Nabelschnur einwickelte, um sie unter einem Feigenbaum zu
vergraben, wie es hierzulande Brauch war, hatte sich die Familie
im Saal um Pater Teodoro Riesco versammelt, um Gott zu
danken für die Geburt eines Zwillingspärchens, zweier Söhne,
die den Namen del Valle in Ehren tragen würden, wie der Pater
sagte. Zwei Tanten hielten die Neugeborenen auf den Armen,
warm in wollene Einschlagtücher gewickelt und mit gestrickten
Mützchen auf den Köpfen, während die Familienmitglieder
nacheinander herantraten, sie auf die Stirn küßten und
»Gott schütze ihn« sagten, um den bösen Blick fernzuhalten.
Ich konnte meine Vettern nicht willkommen heißen wie die
anderen, mir kamen sie vor wie abscheulich häßliche Würmer,
und das Bild von Niveas blau angelaufenem Bauch, der sie als
blutige Masse ausstieß, würde mich ewig peinigen.
In der zweiten Augustwoche kam Frederick Williams uns
besuchen, hochelegant wie immer und sehr ruhig, als wäre die
Gefahr, der politischen Polizei in die Hände zu fallen, nur eine
allgemeine Halluzination gewesen. Meine Großmutter empfing
ihren Mann wie eine Braut, mit glänzenden Augen und vor
Erregung roten Wangen, sie hielt ihm beide Hände hin, die er
mit mehr als Respekt küßte; mir wurde zum erstenmal klar, daß
dieses Paar durch Bande vereint war, die der Zärtlichkeit sehr
ähnlich waren. Damals war sie etwa fünfundsechzig, ein Alter,
in dem andere Frauen Greisinnen waren, zerstört durch
Trauerfälle und sonstige Schicksalsschläge, aber Paulina del
Valle schien unverwüstlich. Sie färbte sich das Haar, eine
Koketterie, die keine Dame aus ihren gesellschaftlichen Kreisen
sich erlaubte, und vervollständigte ihre Frisur durch falsche
Haarteile; sie kleidete sich mit gleichbleibender Eitelkeit, trotz
ihrer Dickleibigkeit, und schminkte sich so dezent, daß niemand
die Röte auf ihren Wangen oder die Schwärze ihrer Wimpern in
Zweifel zog. Frederick Williams war deutlich jünger, und
offenbar fanden die
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