Portrat in Sepia
Frauen ihn sehr attraktiv, denn immer
wedelten sie mit ihren Fächern in seiner Gegenwart oder ließen
Tüchlein fallen. Ich habe niemals gesehen, daß er diese
Komplimente erwidert hätte, dagegen schien er seiner Frau
unbedingt ergeben zu sein. Ich habe mich oft gefragt, ob die
Verbindung von Frederick Williams und Paulina del Valle nur
eine der Zweckmäßigkeit halber getroffene Regelung war, ob sie
tatsächlich so platonisch war, wie alle annahmen, oder ob
zwischen ihnen eine gewisse Anziehungskraft wirksam war.
Sollten sie sich lieben? Niemand wird das je erfahren, denn er
berührte nie das Thema, und meine Großmutter, die gegen Ende
imstande war, mir die vertraulichsten Dinge zu erzählen, nahm
die Antwort mit in die andere Welt.
Wir hörten von Onkel Frederick, daß Don Pedro Tey durch
das persönliche Eingreifen des Präsidenten befreit worden war,
ehe es Godoy gelungen war, ihm ein Geständnis zu entreißen,
weshalb wir in das Haus in Santiago zurückkehren konnten,
denn tatsächlich war der Name unserer Familie nie in den Listen
der Polizei aufgetaucht. Neun Jahre später, als meine
Großmutter gestorben war und ich Señorita Matilde Pineda und
Don Pedro Tey wiedersah, erfuhr ich die Einzelheiten des
Geschehens, die der gute Frederick Williams uns hatte ersparen
wollen. Nachdem die Polizisten die Buchhandlung durchsucht,
die Angestellten verprügelt und Hunderte von Büchern
aufgestapelt und in Brand gesetzt hatten, brachten sie den
Katalanen zu den unheilvollen Kerkerzellen, wo sie ihm die
übliche Behandlung zukommen ließen. Am Ende der Tortur
hatte Tey das Bewußtsein verloren, ohne ein einziges Wort
gesagt zu haben, worauf sie ihm einen Eimer Wasser mit
Exkrementen über den Kopf gossen und ihn auf einem Stuhl
festbanden, wo er für den Rest der Nacht blieb. Am Tag darauf,
als er wieder seinen Peinigern vorgeführt wurde, kam der
nordamerikanische Geschäftsträger Patrick Egan mit einem
Adjutanten des Präsidenten und verlangte die Freilassung des
Gefangenen. Sie ließen ihn gehen, nicht ohne ihn zu warnen,
wenn er nur ein Wort über das Vorgefallene verriete, würde er
vor ein Erschießungskommando gestellt. Sie schleppten ihn, der
von Blut und Fäkalien triefte, zur Kutsche des Diplomaten, wo
Frederick Williams und ein Arzt warteten, und brachten ihn als
Asylsuchenden in die Gesandtschaft der Vereinigten Staaten.
Einen Monat später war die Regierung gestürzt, und Don Pedro
Tey verließ die Gesandtschaft, um Platz zu machen für die
Familie des abgesetzten Präsidenten, der unter derselben Fahne
Zuflucht fand. Der Buchhändler war mehrere Monate lang
ziemlich übel dran, bis die Wunden von den Peitschenhieben
verheilt waren, die Schultern wieder beweglich wurden und er
anfangen konnte, seine Buchhandlung wiederaufzubauen. Die
erlittenen Grausamkeiten hatten ihn nicht eingeschüchtert, ihm
kam gar nicht der Gedanke, nach Katalonien zurückzukehren,
und er blieb nach wie vor in der Opposition, ganz gleich unter
welcher Regierung. Als ich ihm viele Jahre später dafür dankte,
daß er die entsetzliche Folter durchgestanden hatte, um meine
Familie zu schützen, antwortete er mir, er habe es nicht für uns
getan, sondern für Señorita Matilde Pineda.
Meine Großmutter wollte auf dem Lande bleiben, bis die
politischen Turbulenzen ein Ende hatten, aber Frederick
Williams überzeugte sie, daß der Konflikt sich noch über Jahre
hinziehen könne und daß wir die Stellung, die wir in Santiago
hatten, nicht aufgeben dürften. Die Wahrheit ist, daß das Gut mit
seinen demütigen Bauern, den ewigen Siestas und den Ställen
voller Mist und Fliegen ihn ein noch schlimmeres Schicksal
dünkte als die für ihn doch sehr hypothetische Einkerkerung.
»Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten hat vier Jahre
gedauert, das kann hier genauso kommen«, sagte er.
»Vier Jahre? Bis dahin ist kein einziger Chilene mehr am
Leben. Wie es heißt, sind in wenigen Monaten schon
zehntausend Mann im Kampf gefallen und über tausend
hinterrücks ermordet worden«, entgegnete meine Großmutter.
Nivea wollte mit uns zurück nach Santiago, obwohl die
Anstrengung der doppelten Geburt ihr immer noch in den
Knochen saß, und sie bestand so beharrlich darauf, daß meine
Großmutter schließlich nachgab. Anfangs hatte sie wegen der
Sache mit dem Druckapparat nicht mit Nivea gesprochen, aber
als sie die Zwillinge sah, verzieh sie ihr. Bald waren wir also
alle auf dem Weg in die
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