Portrat in Sepia
einer
Schlangenhaut überzogenes Skelett geblieben war, seine gläsern
blickenden Augen waren tief in ihre Höhlen eingesunken, und
seine Wangen waren so dünn geworden, daß man die Zähne
unter der Haut erkennen konnte. Er saß halb liegend in einem
Sessel, von Kissen gestützt, über die Beine war ein Schal
gebreitet. Er sah aus wie ein zerrütteter, trauriger alter Mann,
obwohl er in Wirklichkeit kaum vierzig Jahre gewesen sein
kann.
»Mein Gott, Matías, was ist mit dir?« fragte meine
Großmutter entsetzt.
»Nichts, was man heilen kann, Mutter. Sie werden verstehen,
daß ich sehr gewichtige Gründe haben muß, um hierher
zurückzukehren.«
»Diese Frau…«
»Ich kenne die ganze Geschichte zwischen Amanda Powell
und meinem Vater, sie hat sich vor dreißig Jahren in einem
anderen Teil der Welt abgespielt. Könnten Sie Ihren Groll nicht
vergessen? Wir sind bereits alle in dem Alter, die Gefühle über
Bord zu werfen, die zu nichts nütze sind, und nur die
festzuhalten, die uns leben helfen. Toleranz ist eines davon,
Mutter. Ich schulde der Senorita Lowell sehr viel, sie ist seit
mehr als fünfzehn Jahren meine Gefährtin gewesen…«
»Gefährtin? Was bedeutet das?«
»Das, was Sie hören: Gefährtin. Sie ist weder meine
Krankenschwester noch meine Frau, noch meine Geliebte. Sie
begleitet mich auf meinen Reisen, in meinem Leben und jetzt,
wie Sie sehen können, begleitet sie mich in den Tod.«
»Sag nicht so etwas! Du wirst nicht sterben, Junge, hier
werden wir dich pflegen, wie es sich gehört, und bald wirst du
wieder gesund sein…«, versicherte Paulina, aber ihre Stimme
brach, und sie konnte nicht weiterreden.
Drei Jahrzehnte waren vergangen, seit mein Großvater
Feliciano eine Liebschaft mit Amanda Lowell gehabt hatte, und
meine Großmutter hatte sie nur ein paarmal und noch dazu von
fern gesehen, aber sie hatte sie augenblicklich wiedererkannt.
Sie hatte nicht umsonst jede Nacht in dem Bett geschlafen, das
sie aus Florenz hatte schicken lassen, um ihr die Stirn zu bieten,
dieses Bett muß sie jedesmal an die Wut erinnert haben, die sie
auf die unverschämte Geliebte ihres Mannes gehabt hatte. Nun
war diese Frau wieder vor ihr aufgetaucht, gealtert und ohne
Eitelkeit, die in nichts mehr der fabelhaften Stute glich, die in
San Francisco den Verkehr aufgehalten hatte, wenn sie den
Hintern schwenkend über die Straße ging, aber Paulina sah sie
nicht, wie sie jetzt war, sondern als die gefährliche Rivalin, die
sie einst gewesen war. Diese Wut mochte in ihr weiterhin
gelauert haben, aber nach den Worten ihres Sohnes suchte
Paulina sie in den Winkeln ihrer Seele und konnte sie nicht
finden. Dagegen traf sie auf den mütterlichen Instinkt, bislang
nicht gerade ihr hervorstechendster Wesenszug, der sie nun mit
absolutem und unerträglichem Mitleid überfiel. Dieses Mitleid
galt nicht nur ihrem todgeweihten Sohn, sondern auch der Frau,
die ihn jahrelang begleitet hatte, ihn treu geliebt, ihn in der
unseligen Krankheit gepflegt und jetzt die halbe Welt umfahren
hatte, um ihr den Sterbenden zu bringen. Paulina, plötzlich ganz
klein und alt und zerbrechlich, saß in ihr em Sessel, den Blick
auf ihren armen Sohn gerichtet, während ihr die Tränen über die
Wangen liefen und ich ihr tröstend auf den Rücken klopfte, ohne
recht zu verstehen, was vor sich ging. Frederick Williams muß
meine Großmutter sehr gut gekannt haben, denn er ging leise
hinaus, suchte Amanda Powell und führte sie zurück in den
kleinen Salon.
»Verzeihen Sie mir,
Señorita Lowell«, murmelte meine
Großmutter von ihrem Sessel aus. »Verzeihen Sie mir, Señora«,
erwiderte die andere und trat schüchtern näher, bis sie vor
Paulina stand. Sie nahmen sich bei den Händen, die eine
stehend, die andere sitzend, beide die Augen voller Tränen, und
blieben so eine mir endlos erscheinende Zeit lang, bis ich mit
einemmal merkte, daß die Schultern meiner Großmutter
zuckten, und ich begriff, daß sie leise lachte. Die andere lächelte
ebenfalls, hielt sich zwar anfangs erschrocken den Mund zu,
aber als sie ihre Rivalin lachen sah, brach sie in fröhliches
Gelächter aus, das sich mit dem Paulinas vereinigte, und in
wenigen Sekunden bogen sich die beiden vor Lachen, steckten
sich gegenseitig mit einer entfesselten, hysterischen Fröhlichkeit
an, fegten lachend die Jahre nutzloser Eifersüchte, überalterten
Grolls, den Betrug des Ehemannes und andere abscheuliche
Erinnerungen fort.
Das Haus in der
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