Poseidon - Der Tod ist Cool
Kapitel
Der Tunnel hüllte ihn ein.
Die ganze Fahrt nach Hause steuerte Frenzel seinen Wagen durch diesen endlosen schwarzen Schlauch. Alles schien sich darin zu verlieren.
Straße. Stadt. Verstand.
Erst als er seine Wohnung erreichte und den Schlüssel im Schloss umdrehte, fiel die Anspannung von ihm ab. Die Bestie, die so unbarmherzig aus ihrem Gefängnis ausgebrochen war, beruhigte sich. Frenzel begab sich direkt in die Küche. Er nahm ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Wasser und leerte es in einem Zug. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt solchen Durst empfand. Er trank ein Zweites. Als er es auf die Spüle stellte, bemerkte er seine blutverschmierten Hände.
Zum Teufel...
Frenzel hatte Mühe, die vergangenen Minuten zu rekapitulieren. Sie lagen im Nebel. Er ging ins Bad, um das Blut abzuwaschen. Es löste sich zäh aus seinen Poren und verschwand in Schlieren im Abguss. Frenzel beobachtete die verschiedenen Muster, die sich dabei im Waschbecken bildeten. Es half ihm, seine Gedanken zu ordnen. Während er seine Hände abtrocknete, blickte er in den Spiegel.
Mein Gott!
Seine rechte Gesichtshälfte durchzogen rote, verkrustete Streifen.
Die Schere! Er hat mir das Gesicht zerschnitten.
Sie verzweigten sich in alle Richtungen.
Vorsichtig, ganz vorsichtig.
Frenzel zupfte sich den Belag mit den Fingernägeln von der Haut.
Komisch, ich spüre keine Schmerzen. Langsam müsste ich die Wunde sehen.
Je mehr Reste er entfernte, desto schneller arbeitete er.
Aber, das ist doch nicht...
Das Zupfen wurde ein Schaben. Hektisch. Ungestüm. Getrocknetes Gewebe und Hautpartikel schoben sich unter seine Fingernägel.
Ich habe keinen Kratzer! Nicht die kleinste Verletzung.
Frenzels fingerte in seinem Kulturbeutel herum. Zitternd hielt er die Rasierklinge vor seine Stirn.
Er schwitzte.
Es sind nicht die Schmerzen.
Er fror.
Es ist die Entweihung, die Gotteslästerung.
Er schwitzte.
Sie drang in sein Fleisch. Ein Tropfen Blut perlte am Stahl.
Sie pflügte durch seine Epidermis. Zentimeter um Zentimeter.
Der Schmerz sensibilisierte seine Sinne. Frenzel verschmolz im Jetzt. Mit dem warmen Strom, der sich über ihn ergoss. Er führte die Klinge im rechten Winkel nach unten am Ohr vorbei. Er
hörte
das Auseinanderreißen der Zellen. Der Stahl ertrank darin.
Wieder ein rechter Winkel.
Parallel zum Kinn.
Der Anblick des Blutes beruhigte ihn - er träumte nicht. Ein Lächeln blitzte im Spiegel auf.
Weiter. Immer weiter.
Frenzel versank in Rot. Er verspürte Glück. Menschlichkeit. Sie pulsierte aus allen Wunden.
Ich bin kein Freak. Ich bin ein gewöhnlicher ...
Plötzlich versiegten die Quellen. Einfach so. Die Schnitte wuchsen zusammen und hinterließen keinerlei Anzeichen einer Verletzung. Nur das viele Blut legte Zeugnis des Geschehenen ab. Die Rasierklinge fiel zu Boden; Frenzel stützte sich an den Waschbeckenrand. Sein Körper bebte, als er die Faust schreiend in den Spiegel schmetterte.
Einmal.
Zweimal.
So lange, bis sie angeschwollen und taub an seinem Handgelenk herunterhing. Knochen blitzten unter aufgeplatzter Haut hervor.
Das ist also dein Geschenk an mich.
Das Fleisch begann zu heilen.
Warum?
Frenzel berührte das jungfräuliche Gewebe.
Und was ist der Preis dafür?
Er weinte.
47. Kapitel
Haller rappelte sich vom Boden auf. Einige seiner Mitarbeiter versuchten, ihm zur Hand zu gehen – er stieß sie mit einem Grunzen zur Seite, das in ein Zischen überging. Dabei sprühte sein Blut durch das Loch in seiner Wange Graffiti an die Wände - das Büro erweckte den Eindruck einer Metzgerei. Nach der soeben erlittenen Schmach konnte er es sich nicht erlauben, ein weiteres Mal Schwäche zu zeigen. Für ihn galt es, schnell verlorenes Terrain zurückzuerobern. Er richtete sich zu seiner ganzen Körpergröße auf und blickte herausfordernd um sich. Niemand wagte es, einen Laut von sich zu geben. Sie verstanden seine Geste instinktiv. Haller ging zum Schreibtisch, nahm den Telefonhörer und wählte eine Nummer. Er gab diverse Anweisungen, danach legte auf. Suchend wanderten seine Augen über das Chaos auf dem Möbelstück. Mit spitzen Fingern griff er zwischen die verschiedenen Flüssigkeiten, die sich darauf ausgebreitet hatten, beförderte einige Büroklammern zu Tage und klammerte notdürftig seine Hautlappen zusammen.
Wenige Augenblicke später bahnte sich Heinzelmann aus der Gerichtsmedizin seinen Weg durch Hallers Mannschaft, die immer noch wie angewurzelt
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