Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Harald half ihr. Sie saß nun auf ihm, nackt und schutzlos, nur die langen Haare fielen über die Brüste und bedeckten ein wenig ihren Oberkörper. Das rote Licht des Sonnenuntergangs fiel auf ihre bleiche alte Haut und zauberte einen rosigen Schimmer darauf. Harald hatte sich zurückgelegt, seine gichtigen Hände fuhren leicht auf ihren Oberschenkeln auf und ab, er lächelte sie an und das gesunde Auge strahlte in hellem Blau.
»Du bist so schön wie eh und je«, flüsterte er, und da konnte sie nicht länger an sich halten. Ihr kleiner zerbrechlicher Körper zuckte heftig unter dem Weinkrampf, aber sie war glücklich. Glücklich, weil das Elend der vergangenen Jahre von ihr wich und sie wusste, dass sie endlich nicht mehr allein war.
*
Beate war äußerst unwohl. Natürlich war sie Annette von Rechlin dankbar, dass sie ihr eine Schlafgelegenheit angeboten hatte, aber sie fühlte sich alles andere als aufgehoben. Sie war Gudruns Tochter begegnet, nachdem ihr die Alte die Tür vor der Nase zugeworfen hatte. Beate hatte noch eine Zeitlang ratlos am Gartentor gestanden und nicht gewusst, was tun, als Annette aus ihrem Teil des Hauses gekommen war und sich nach ihr erkundigt hatte. Sie schätzte die Tochter auf Anfang, Mitte fünfzig. Beate Klinger hatte die Frau nur einmal zuvor gesehen, bei ihrem Besuch mit Julius in Lohdorf. Das war kurz nach Volkmars Tod gewesen, kurz nach der Kreuzfahrt. Gudrun hatte schon damals nicht über ihre Tochter gesprochen, sie hatte nur angedeutet, dass diese nacheiner unglücklichen Ehe wieder bei ihr eingezogen war. Damals war Annette von Rechlin zur Begrüßung auf die Terrasse gekommen, auf der sie gesessen hatten, mit einem Drink in der Hand. Beate hatte den Eindruck gehabt, dass Annette unglücklich gewesen war und gerne trank, und dieser Eindruck hatte sich heute bestätigt. Sie hatte Annette noch am Gartentor gesagt, dass sie auf der Suche nach ihrem Mann war. Die junge Rechlin hatte ihr keine Auskunft geben können, sie hatte Julius nicht gesehen, und im Gegensatz zur Mutter glaubte Beate ihr jedes Wort. Die Frau wirkte warmherzig und aufrichtig, allerdings auch ziemlich zerstreut. Als Beate ihr erzählt hatte, dass sie heute noch nach Frankfurt zurückmüsse, mit der Bahn, aber nicht wisse, wann und ob überhaupt ein Zug führe, hatte Annette ohne Zögern angeboten, dass sie bei ihr übernachten könne. Dankbar hatte Beate das Angebot angenommen, aber nun, als sie auf dem ungemütlichen Sofa lag, bereute sie den Entschluss beinahe. Aus der Küche hörte sie ab und zu das Klirren von Gläsern oder Flaschen, ansonsten war es ganz ruhig in diesem Teil des Hauses. Totenstill. Sie hatten sich ein wenig unterhalten, bevor Annette ihr das Lager auf dem Sofa bereitet hatte, aber das Gespräch war zäh gewesen. Beate traute sich nicht, von der Sache mit den Fonds, dem großen Verlust und ihrem Plan mit der daraus resultierenden Entführung zu erzählen. Sie hatte schnell gemerkt, dass Annette von Rechlin von nichts wusste. Sie hatten in deren Küche gesessen, die säuerlich roch, weder aufgeräumt noch sauber war und auf deprimierende Weise leer. Außer Flaschen und ein paar Tassen in der Spüle gab es nichts, was darauf hinwies, dass hier jemand wohnte. Kein Obstkorb, kein Brot, nicht einmal Krümel. Als ihre Gastgeberin den Kühlschrank geöffnet hatte, um sich aus derzweiten Flasche Weißwein zu bedienen, hatte Beate erkennen können, dass sich außer Getränken nicht viel darin befand. Eine angebrochene Butter im verknitterten Papier. Ein Glas Cornichons, ein in Plastik verpackter Käse, Pumpernickel. Im Gespräch war Gudruns Tochter freundlich, aber zunehmend betrunken gewesen, und Beate, die Mühe gehabt hatte, die Unterhaltung aufrechtzuerhalten, hatte sich sehr früh ins Bett verabschiedet. Mit schlechtem Gewissen, denn Annette von Rechlin schien ihr ein sehr einsamer und unglücklicher Mensch zu sein, der froh um ihre Gesellschaft war. Aber sie konnte der Frau nicht geben, wonach diese verlangte, sie war zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt. Sie dachte an Klaus und dass dieser ganz aufgeregt gewesen war, als sie ihn von Annettes Telefon aus angerufen und ihm mitgeteilt hatte, dass er über Nacht bei seinem Betreuer bleiben solle. Und natürlich dachte sie in einem fort an ihren Mann. An Julius, dessen Mantel sie an Gudruns Garderobe gesehen hatte. Denn inzwischen war sie sicher, dass es sein Trenchcoat war, nur wusste sie nicht, was der Grund dafür war, dass Gudrun
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