Power and Terror
Lebenserwartung sinkt.)
Diese Bemühungen fanden durch das Embargo ein Ende, weil nun Entwicklungshilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar auf Eis lag. Nur Kuba hilft noch, vor allem mit Medikamenten und ärztlichem Personal, aber das kann die Verluste nicht wettmachen, und so verschlimmert sich die Situation. Überdies, und das macht die Katastrophe komplett, zahlt Haiti für die blockierten Anleihen Zinsen. Soviel zum zweiten Embargo.
Ich komme zum Schluß. In den USA floriert ein literarisches Genre mit Büchern und Artikeln, die sich einem seltsamen Charakterfehler der Amerikaner widmen: Warum reagieren wir 57
nicht angemessen auf die Verbrechen anderer? Eine interessante Frage, die in einer ernsthaften Studie unserer Einstellung gegenüber den Menschenrechten sicherlich eine Fußnote verdient hätte, wenngleich das eigentliche Thema lauten müßte: Warum beteiligen wir uns auch weiterhin an
Menschenrechtsverletzungen der schlimmsten Art bis hin zu Massakern?
Aber diese Frage darf nicht gestellt werden, denn sie betrifft unsere eigenen Verbrechen, und es ist unvorstellbar, daß wir die Existenz solcher Verbrechen zugeben.
Auch die in letzter Zeit immer wieder gestellte Frage, wie wir die Geißel des Terrors – und überall lauern terroristische Gefahren – bekämpfen können, ist nicht schwer zu beantworten.
Die Vereinigten Staaten können das Ausmaß des weltweiten Terrors drastisch vermindern, indem sie aufhören, ihn zu unterstützen und sich daran zu beteiligen. Es würde nicht gleich das ganze Problem lösen, aber doch einen großen Teil desselben. Allerdings wird dieser grundlegende Punkt nirgendwo erörtert oder diskutiert.
Doch erst wenn Fragen dieser Art in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, kann die Diskussion solcher Themen ernst genommen werden. Bis dahin sinken die Leidenden überall auf der Welt tiefer ins Elend.
Nachbemerkung11
Es gibt viele Greueltaten auf der Welt; einige weisen direkt auf uns zurück, andere werden gar nicht als solche gezählt. Dazu ein Beispiel.
Im vorigen Jahr wurde das aus dem Französischen übersetzte Schwarzbuch des Kommunismus bei uns ein stark beachteter und viel rezensierter Bestseller. Es ging darum, wieviel Menschenleben die kommunistische Herrschaft weltweit 58
gekostet hat, und die Autoren bezifferten dies auf etwa 100
Millionen. Streiten wir nicht um diese Zahl, sondern setzen wir sie als richtig voraus.
Den größten Anteil daran hatte eine Hungersnot in China, der zwischen 1958 und 1960 schätzungsweise 25 Millionen
Menschen zum Opfer fielen. Warum man das als politisches –
oder ideologisches – Verbrechen bezeichnen kann, wurde in allen Einzelheiten vom Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen diskutiert, der u. a. auch dafür den Nobelpreis erhielt. Sen hatte gute Gründe, diese Hungersnot ein ideologisches Verbrechen zu nennen, und ich stimme seiner Einschätzung zu. Für ihn verbarg sich dahinter keine Absicht, sondern die Unfähigkeit der ideologischen Institutionen. China war ein totalitärer Staat, bei dem, wie in totalitären Staaten üblich, keine Informationen über das, was im Land geschah, zum Zentrum zurückflossen, weswegen auch keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden
konnten. Dennoch war es ein Massaker, eine der schrecklichen Greueltaten des 20. Jahrhunderts und ein furchtbares Verbrechen des Kommunismus.
Aber das ist nur die halbe Geschichte. Amartya Sen hat sich in seinem Werk vielfach mit Hungersnöten und den Ursachen, die dazu führten, auseinandergesetzt und dabei vor allem Indien und China miteinander verglichen. Indien hatte unter der britischen Kolonialherrschaft immer wieder Hungersnöte erlebt, bei denen Millionen Menschen starben, aber das rechnet niemand zu den Verbrechen des britischen Imperialismus, gemäß dem
Grundsatz, was wir tun, ist nun mal kein Verbrechen.
Nachdem Indien jedoch unabhängig geworden war, gab es vielfach Hunger, aber keine Hungerkatastrophen dieser Art, wie Sen für den von ihm untersuchten Zeitraum, zwischen. 1947 und 1980, konstatiert. Verglichen mit China war Indien ein demokratischer Staat, bei dem die Regierung schnell reagieren konnte, wenn von irgendwoher entsprechende Informationen kamen.
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Diese Analysen Sens sind bekannt, weniger jedoch die andere Seite seines Vergleichs zwischen Indien und China. Er untersuchte für denselben Zeitraum nämlich auch die
Sterblichkeitsraten, die 1947 noch für beide Länder ähnlich waren, danach jedoch sich erheblich unterschieden.
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