PR 2659 – Toufec
Anbauflächen zogen sich die Narben aufgerissenen Bodens, die vom Durchmarsch von Soldatenheeren, von hin und her eilenden Kurieren und von zivilen Flüchtlingen stammten. Dörfer waren verlassen oder schwarz verbrannte Schutthaufen.
Die regelmäßigen Windungen des großen Flusses namens Rhein, dessen Lauf die Blase vage folgte, waren so grau wie die tief hängenden Wolken über dem Land. Toufec gab es nach einiger Zeit auf, nach unten zu sehen; der Anblick raubte ihm den Mut.
Dabei war die Gegend vom Krieg noch mehr oder weniger verschont geblieben. Toufec hatte sich einer Schulung unterzogen, die einfach gewesen war, denn Delorian hatte sie ihm im Schlaf verabreicht. Seitdem war Toufec in der Lage, die Sprache zu sprechen und zu verstehen, derer sich die Menschen hier bedienten.
Mit diesen Informationen war auch ein Update der aktuellen Ereignisse verbunden gewesen, und so konnte Toufec nun mit Schaudern auf die Neuigkeit zurückgreifen, dass erst einen guten Monat zuvor eine ganze Stadt vernichtet worden war: Magdeburg.
Zwanzigtausend Einwohner waren von den entfesselten Soldaten ermordet, zehntausend als Geiseln, Arbeitstiere und Zwangsprostituierte verschleppt worden. Ganz Tiamat hatte in seiner Glanzzeit kaum mehr als zweitausend Einwohner gehabt; ein Zehnfaches seiner Landsleute war in Magdeburg binnen weniger Tage einem Krieg zum Opfer gefallen, der längst kein Ziel mehr kannte, außer sich selbst zu erhalten.
Toufec befühlte das Ledersäckchen, das an seinem Gürtel hing. Es war voller Weihrauchharzperlen. Pazuzu hatte sie ihm auf Geheiß Delorians ausgehändigt. Sie stammten aus der Gegend von Tiamat und waren als Zahlungsmittel, aber auch als Glücksbringer gedacht. Delorian schien geahnt zu haben, dass sein Schützling etwas brauchte, an dem sein Geist sich angesichts des Grauens festhalten konnte. Tod und Gewalt waren Toufec nicht fremd, aber von so einem sinnlosen Schlachten hatte er nie gehört.
Die Blase, die von außen unsichtbar war, verließ die Schleifen des Flusses und wandte sich nach Westen. Toufec wusste, dass sein Ziel eine kleine Stadt namens Rheinbach war.
»Missionsziel nähert sich«, sagte die Stimme Pazuzus, der wie immer auf geheimnisvolle Art mit der Blase verbunden war. Toufec wusste, dass über die technischen Einrichtungen der Blase auch Delorian an ihren Gesprächen teilnehmen konnte. Das würde sich ändern, sobald Toufec den blau schimmernden Schutz des Objekts verließ; dann würde er auf sich allein gestellt sein.
»Das sehe ich auch so!« Noch bevor sich die grauen und roten Flächen von Stadtmauern, Hauswänden und Dächern aus der regentrüben Landschaft schälten, war Toufec schon die fette schwarze Rauchsäule aufgefallen, die über dem Boden stand. Er hätte einen Monitor aufrufen können, der den Anblick heranzoomte – mittlerweile ging Toufec mit diesen sperrigen Ausdrücken um, als würde er wirklich verstehen, was dahintersteckte –, aber er hatte darauf verzichtet. Er wusste auch so, dass dort unten ein Mensch brannte.
Die Blase landete auf der von der Hinrichtungsstätte abgewandten Seite der Stadt. Brandgeruch klebte in der Luft. An diesem Ort war keine Menschenseele zu finden; wer Beine hatte, musste zum Brandplatz gegangen sein. Die Blase verwandelte sich in honigfarbenen Tau unter einem Busch; der Teil des Nanogentenschwarms, den Toufec nicht benötigte, würde dort absolut sicher sein.
Mit Pazuzus Flasche am Gürtel stapfte Toufec zum nächstgelegenen Stadttor, wo ihn zwei gelangweilte Wächter mit einem Sergeanten ohne allzu viele Umstände einließen. In den ausgestorbenen Gassen der Stadt war der Geruch noch stärker. Schwach hörte Toufec Gesang; wer immer seinen Gang durchs Feuer in die Ewigkeit antrat, bekam Begleitung durch den örtlichen Knabenchor.
Er hielt sich die Hand vor den Mund und tat so, als würde er husten, während er mit Pazuzu sprach; dabei gesehen zu werden, wie man scheinbar mit sich selber sprach, konnte einem Todesurteil gleichkommen. Toufec hatte gut aufgepasst, was Delorian und die Hypnoschulung ihm eingetrichtert hatten.
»Wir müssen uns ein Bild von der Lage machen«, sagte Toufec.
»Wo würdest du anfangen, wenn du in Tiamat wärst?«, ertönte die Stimme Pazuzus in seinem Ohr. Wie der Dschinn das bewerkstelligte, war Toufec ein Rätsel. Oder hatte Pazuzu ihm ein Milliardstelteilchen seiner selbst in die Ohrmuschel praktiziert?
»Beim Oheim!«, flüsterte Toufec. »Er weiß alles. Wusste alles! Bei Ruda, daran
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