PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
weil Sie eine Erinnerung brauchen«, vermutete der Solarmarschall. »Als Techniker sind Sie es gewohnt, Details zu hinterfragen. Andererseits gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich jeder Erklärung widersetzen. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Menschheit mehr offene Fragen mit sich herumschleppt als in jedem früheren Jahrhundert. Je tiefer unsere Raumschiffe in den Raum vorstoßen, desto schlechter wird das Verhältnis. Jede Antwort, die wir erhalten, bringt zwei neue Fragen.«
»Sie befinden sich doch in der glücklichen Lage, die Beantwortung dieser Fragen eines Tages zu erleben«, sagte Saedelaere.
Der SolAb-Chef zog die Brauen hoch. Er lächelte, aber zugleich umfloss ein bitterer Zug seine Mundwinkel. »Der Vergleich hinkt, Mr. Saedelaere. Andererseits ist uns potentiell Unsterblichen Ihr Gefühlschaos seit diesem Unfall vertraut. Wir alle entsprechen nicht mehr der Norm, sind Stigmatisierte, und das ist auf Dauer nur erträglich, wenn man die Menschen wirklich liebt. — Mögen Sie die Menschen, Mr. Saedelaere?«
»Weil auch ich mit einem Stigma leben muss — mit einer körperlichen Entstellung, die mich zur tödlichen Gefahr werden lässt?« Der Transmittergeschädigte machte eine ablehnende Handbewegung. »Behaupteten Sie nicht eben, noch sei nichts entschieden? Was ist wahr, Mr. Deighton?«
Nachdem der SolAb-Chef gegangen war, starrte Saedelaere minutenlang auf das geschlossene Schott. Er fragte sich, was Galbraith Deighton wirklich von ihm gewollt hatte. Die einzige plausible Antwort war, ihn darauf vorzubereiten, dass der Transmitterunfall sein Leben für immer verändert hatte. Nichts würde mehr so sein wie noch vor wenigen Tagen.
Alaska ballte die Hände, öffnete sie wieder und konzentrierte sich dabei auf das schwache Ziehen im Gesicht. Es ließ sich nicht beeinflussen.
Dieses Ding führte ein unbegreifliches Eigenleben, das ihm nicht gefiel. Mehr noch: Es ängstigte ihn. Ebenso wie die fahle Aura, die von dem veränderten Gewebe ausstrahlte. Die Menschen würden ihn meiden wie einen Pestkranken des Mittelalters. An Liv wagte er schon gar nicht zu denken. Sie war für ihn der erste wirkliche Halt in einem an Enttäuschungen nicht eben armen Leben gewesen. Seit dem Transmitterunfall fürchtete er in seinen Träumen, auch sie in den Wahnsinn zu treiben. Obwohl er ihr Wiedersehen ebenso ungeduldig herbeisehnte.
Prompt begann er sich zu fragen, ob Solarmarschall Deightons Besuch Teil eines psychologischen Tests gewesen war. »Ich will kein Versteckspiel«, stieß er hervor. »Ich will die Wahrheit, so unangenehm sie auch sein mag.«
Saedelaere ließ sich aufs Bett sinken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte hinaus in die Dunkelheit. Von Saturn war nichts mehr zu sehen, nur ein schmaler, golden flirrender Ausschnitt seines Ringsystems. Die Ansammlung von Staub, Eiskristallen und Gesteinsfragmenten schien sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Der Anblick hatte etwas Erhebendes und Beruhigendes zugleich und ließ alle menschlichen Probleme zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen.
Alaska Saedelaere verstand in dem Moment, dass er sich selbst undseine Veränderung akzeptieren musste. Erst dann würde er die nötige Ungezwungenheit aufbringen, die ihn in den Augen anderer nicht als Monstrum erscheinen ließ.
Meine Zellschwingung hat sich verändert. Wenn das die einzige Erkenntnis ist, die nach sechs Stunden Fixierung in künstlicher Schwerelosigkeit und Schichtaufnahmen im Bereich der Molekularstruktur gewonnen wurde, läuft etwas schief. Das hätte ich vorhersagen können. Diese Aura, die von meinem Gesicht ausgeht, lässt nichts anderes als eine Zellveränderung vermuten.
Die Arzte wissen nicht, dass ich Tagebuch führe. Zumindest lassen sie mich in dem Glauben. Andererseits lag das Schreibzeug kaum zufällig hier.
Ich spüre, dass mir diese archaische Methode der Konfliktbewältigung gut tut und ich wenigstens mein inneres Gleichgewicht wiederfinde. Alles aufschreiben heißt, sich damit auseinander zu setzen, bewusst das Schreckliche zu verarbeiten. Ein Mnemospeicher würde denselben Zweck erfüllen, doch was gedankenlos aufgesprochen wird, verfliegt schnell. Ich habe mich wohl nie zuvor ähnlich intensiv mit mir selbst beschäftigt wie in den vergangenen Tagen auf Mimas.
Die Probleme sind immer noch die gleichen, aber ihre Brisanz schwindet. Weil alles zur Gewohnheit wird? Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich Menschen nur mit aktiviertem
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