PR NEO 0052 – Eine Handvoll Ewigkeit
Kontrolle und hielt alle Fäden in der Hand. Worüber machte er sich also Sorgen? Er konnte sich der Kurtisane jederzeit bedienen, ohne jemandem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen.
Im gleichen Moment maßregelte er sich selbst ob seines letzten Gedankens. Hatte ihn der Umgang mit den adligen Speichelleckern und höfischen Günstlingen so zynisch werden lassen, dass er sogar wahre Schönheit auf triviales sexuelles Verlangen reduzierte? Theta besaß diesen einzigartigen Liebreiz, diese Zartheit, die man sich nicht aneignen konnte, weil sie von einer inneren Quelle gespeist wurde, zu der der Verstand keinen Zugang besaß.
Du bist ein alter Narr, flüsterte eine hässliche Stimme in seinem Kopf. Merkst du nicht, was sie mit dir macht? Sie hat dich genau da, wo sie dich haben wollte. Du bist ihr auf den Leim gegangen.
Unsinn! Er hatte Theta aufgefordert, ihre Geschichte zu erzählen. Und er hatte ihr gesagt, dass er sofort erkannte, wenn sie log, und dass er ihr dann eigenhändig die Zunge herausschneiden und sie so zurichten würde, dass sie kein Mann jemals wieder ansah.
Theta war nicht dumm. Sie hatte in seinen Augen gelesen, dass er jedes Wort genau so meinte, wie er es sagte. Er war Sergh da Teffron, und sein Ruf eilte ihm voraus.
Also hatte das Mädchen geredet, hatte ihm erzählt, wie es in Waisenhäusern aufgewachsen war. Sie war von Beginn an eine Außenseiterin gewesen; klüger, aber nicht stärker als alle anderen. Also hatte sie die Demütigungen ertragen und die Schläge weggesteckt, denn die körperlichen Schmerzen waren nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den sie in ihrer Seele trug.
Mit zwölf Jahren war sie bei einem Ehepaar untergekommen, das eine kleine Fabrik in der Nähe der Thogan-Senke auf Arkon besaß und das dortige schwülheiße Klima zum Anbau und zur Verarbeitung von Yhunal-Pflanzen nutzte. Das Leben schien sich zum Guten zu wenden, doch dann musste Theta feststellen, dass ihr neuer Vater von ihr weit mehr erwartete als die Liebe eines Kindes und vor allem weit mehr, als sie zu geben bereit war.
Die Situation eskalierte, und das junge Mädchen sorgte dafür, dass der Fabrikbesitzer sich bis zum Ende seines Lebens an den letzten nächtlichen Besuch im Zimmer seiner Adoptivtochter erinnern würde. In den nachfolgenden Wirren der behördlichen Untersuchungen hatte sich Ihin da Achran eingeschaltet und Theta zu sich geholt.
»Ich war damals in viele kleine Scherben zerbrochen«, berichtete die Kurtisane mit leiser, aber fester Stimme. »Und ich hatte mir geschworen, dass ich nie mehr weinen würde, dass ich nie mehr jemandem erlauben würde, mir wehzutun. Ihin hat mich wieder zusammengeflickt. Stück für Stück. Irgendwann kamen sogar meine Tränen zurück.«
»Dann hatte ich also recht«, sagte die Hand des Regenten zufrieden. »Die alte Vettel würde dir niemals wehtun. Du hast mich vorhin belogen.«
»Ich wollte bei dir bleiben. Unbedingt.«
»Warum?«
Sie hatte ihn angesehen mit ihren wundervollen, rosafarbenen Augen, in denen man versank und alles vergaß, was an dieser Welt so schäbig und verlogen und abstoßend war. »Weil ich bei dir das Gefühl habe, mich nicht verstellen zu müssen«, hatte sie gesagt, und es war die Wahrheit gewesen, die nackte, ungeschminkte Wahrheit.
An dieser Stelle ihrer Unterhaltung war Sergh da Teffron erstmals bereit gewesen, einen Irrtum einzugestehen. Vielleicht war Theta wirklich anders. Er hatte in seinem Leben nicht besonders viele Frauen gehabt. Seine Karriere hatte ihm keine Zeit für eine ernsthafte Beziehung gelassen, und später, während der dunklen Jahre auf Naat, hatte er den Kummer und die Enttäuschung mit anderen Mitteln betäubt.
Was die junge Frau sagte, war sinnvoller als alles, was die Hand des Regenten in den bisherigen gut eineinhalb Jahrhunderten seines Lebens gehört hatte. War es nicht der Kern einer Partnerschaft, dass man sich dem anderen bedingungslos offenbaren konnte, dass man die Maske, die man im Alltag trug, ablegte und sich so gab, wie man wirklich war?
Sie ist eine Kurtisane, du sentimentaler Schwachkopf!, ließ seine innere Stimme nicht locker. Sie sagt dir genau das, was du hören willst. Sie liest in dir wie in einem offenen Buch. Begreifst du nicht, dass dieses Mädchen der Dolch ist, den dir Ihin da Achran früher oder später ins Herz rammen wird?
Sergh da Teffron lächelte. Selbst wenn Theta eine Zuträgerin für da Achran war: Was sollte schon passieren? Er würde ihr keine Staatsgeheimnisse
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