PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht
dem Eis, eine Geliebte, die ihren schlafenden Prinzen wach küsste; doch jeder Lebensfunke, den sie zu schenken hatte, schien für diese verlorene Welt zu spät.
Dann nahmen sie Fahrt auf, sprangen und ließen Barkon hinter sich.
Der leichte Schmerz riss Anra'Thir'Nom zurück. Doch vielleicht war es nicht nur die Transition; eine nagende Unruhe störte ihn in seiner Meditation. Wahrscheinlich war es die Rudergängerin. Bestimmt war es die Rudergängerin. Nie zuvor hatte er mit einer derart impertinenten Khestan zu kämpfen gehabt. Sie setzte sich über die Traditionen hinweg, störte ihn erst in seiner spirituellen Arbeit, und nun verweigerte sie ihm auch noch den Einblick in das, was ihr während der Zeremonie zuteilgeworden war. Hatte sie Anetis gespürt? Hatte er zu ihr gesprochen? So verstört, wie sie reagiert hatte, musste sie im Sanktuarium etwas erfahren haben, aber es irritierte – nein, ärgerte – ihn, dass sie nicht mit ihm darüber reden wollte.
So ein Starrsinn! Welch Hochmut! Er wünschte, er könnte sie einfach ignorieren, doch das ging nicht, solange sie die gemeinsame Verantwortung für den Tross zu schultern hatten und sie mit ihrer aller Leben spielte. Selbst jetzt, mit geschlossenen Augen, während er versuchte, seinen Geist wieder zu klären, sah er sie und ihr abschätziges Lächeln deutlich vor Augen ...
Er fragte sich, weshalb es dieses Lächeln war, was ihm so zu schaffen machte, mehr noch als ihre zweifelhaften Entscheidungen. Es war, als hätte sie tiefer in ihn geschaut, als andere Leute das normalerweise taten, an einem Ort, der eigentlich nur Anetis hätte vorbehalten sein sollen. Fast glaubte er, noch immer eine Ahnung ihres Dufts in seiner Kuppel wahrzunehmen ...
Ärgerlich schaltete Anra'Thir'Nom die Lüftung ein und versuchte wieder zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden. Wahrscheinlich hatte sie mit Absicht ein derart starkes Parfüm aufgetragen! Dabei musste er sich jetzt ganz auf seine Aufgabe konzentrieren. Die Zeremonie hatte den Reisenden des Trosses etwas Mut gegeben, doch ein Großteil der Zuversicht, die der Hohe Lotse zu verströmen versucht hatte, war nur geheuchelt gewesen. Hatte der Gott der Leere ihnen ihren Hochmut wirklich verziehen? Er wusste es nicht. Dort, wo er Anetis und seine Weisung zu finden gehofft hatte, hatte nur die Rudergängerin auf ihn gewartet ...
Ihr Lächeln ...
Anra'Thir'Nom meditierte.
Dann sprangen sie abermals, und diesmal war der Schmerz heftiger als zuvor – heftiger, als der Lotse ihn normalerweise empfand. Hastig überprüfte Anra'Thir'Nom die Borduhr. Er hatte völlig das Gespür für die Zeit verloren. Tatsächlich hatten sie den zweiundzwanzigsten Sprung nach Plan und gemäß den Korrekturen durchgeführt, die er der Positronik aus seinem Zustand der Versenkung heraus übermittelt hatte – irgendetwas aber stimmte nicht, das spürte er.
Wie um seine böse Ahnung zu bestätigen, erreichte ihn ein Ruf aus der Zentrale. Es war die Rudergängerin.
»Kommen Sie zu mir!«, sagte sie ohne Umschweife. »Jetzt gleich!«
Seine Besorgnis nahm zu, während sein Anzug auf dem Weg die neuesten Feeds des Trosses abrief und ihm auf die Netzhaut projizierte. Sie steigerte sich zur Gewissheit, sobald er die Zentrale erreichte und in die angespannten Gesichter dort blickte, die einen Wald von grünlich schimmernden Hologrammen studierten: Sprungdaten, Vektoren, dreidimensionale Schattenwürfe der Hyperraumtopografie.
Die Sternenteufel haben ihren Tribut gefordert, und Anetis hat uns nicht beschützt. Deshalb hat er die letzten Stunden geschwiegen – die Zeremonie war vergebens.
»Wo haben Sie gesteckt?«, fragte Ihin da Achran, die Augen auf die kreisenden Holos gerichtet. »Man hat Sie vermisst.«
»Ach ja?«
»Gut zweihundert Anrufe die letzten Tontas«, murmelte sie, wischte ein leuchtendes Hologramm beiseite und öffnete ein anderes. »Wenn das so weitergeht, haben Sie bald den Regenten konvertiert.«
»Es wäre mir eine Ehre«, sagte Anra'Thir'Nom ungeachtet ihres Spotts. »Sie wollten mich sprechen?«
Sie schloss auch das zweite Hologramm und schaute ihn an. Er sah deutlich den Zorn in ihren Augen. »Wir haben ein Schiff verloren«, sagte sie. »Die ORESTOS ist nach dem letzten Sprung nicht mit uns rematerialisiert. Helfen Sie uns, sie zu finden.«
Ihr Blick hatte etwas Herausforderndes, so als wartete sie nur auf eine Erwiderung, die ihr Anlass gab, ihn anzugiften oder in eine Zelle zu sperren: Ich habe es Ihnen gleich
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