PR NEO 0055 – Planet der Stürme

der Sonne herumkriechen und keine Rücksicht auf etwaige Verfolger nehmen.«
    Mit schweißnassen Händen zog Charron ein weißes Tuch aus einer Seitentasche der Hose und wickelte es um seinen Kopf. Seine Glatze glühte, obwohl es nicht sonderlich warm war. Die Temperatur betrug um die zwanzig Grad.
    Denurion kroch auf einen schwarzen Fleck neben einem mehrere Meter breiten Erdloch zu. Der Fleck ragte wie ein winziger Hügel in die Höhe. Im Näherkommen erkannte Charron, dass es sich um eine Hominide handelte, die so still saß, als gehöre sie zur Landschaft.
    Das Mädchen war höchstens sieben Jahre alt. Es hockte mit gekreuzten Beinen ganz vorn am Abgrund. Das schwarze Gewand der Lotsen flimmerte auf seiner Haut und bedeckte den Körper bis auf das porzellanartige Gesicht. Bei ihm wirkte das Schwarz noch unheimlicher und entrückter als bei einem Erwachsenen. Seine Haltung hatte eine Versunkenheit, die aussagte, dass es tagelang in dieser Position sitzen würde, wenn es das wollte.
    Charron ging hinter dem Kind in einigem Abstand vorbei und setzte sich ebenfalls so, dass er die Kleine von der Seite her über die Optik im Holo sehen konnte.
    Denurion ignorierte die düstere Ausstrahlung und die in sich versunkene Haltung, die deutlich abweisend wirkte. Er schwebte vor das Kind und wedelte sanft mit den Ausläufern seines Körpers. Pseudopodien bildeten sich aus. »Hallo, Nachtkind.«
    Das Mädchen öffnete die Augen. In seinem Gesichtsausdruck lag weder Überraschung noch Verwunderung. »Hallo, Reisender.«
    Denurion ließ sich neben ihm auf den Stein sinken, dabei wurde er kleiner und kompakter. Die Dicke seines Körpers nahm im selben Maß zu, wie seine Größe sich verringerte. »Streicheln dich die Winde?«
    »Ja. Sie kühlen mich mit ihren Luftfingern.«
    »Kühle ist gut.«
    Die Kleine wandte den Kopf von Denurion ab und starrte über das Land. »Du bist ein Xisrape. Warum kommst du zu mir? Der Fette dahinten hechelt schon seit Tontas hinter dir her. Rede doch mit dem. Ich sitze.«
    Der Fette?, dachte Charron erbost. Lotsin durch und durch, und das in dem Alter.
    Denurions Oberfläche bewegte sich schneller. Lachte er? »Er ist ein Sonnenkind, und er lebt den Überfluss. Wir dagegen leben den Moment.«
    Sie grinste und wandte ihm ihre Aufmerksamkeit wieder zu. »Ich bin Chin'Fher.« Das Lotsenkind hob die Faust in einer Grußgeste zur Stirn.
    »Kannst du hören, was die Wasser singen, Chin'Fher?«
    »Manchmal. Sie wissen, dass dies kein natürlicher Planet ist. Trotzdem freuen sie sich.«
    »Sie schäumen und träumen. Sie erzählen von denen, die in ihnen waren. Ein dicker Fisch ist gestorben, und die Schatten nahen ...«
    Charron hörte fasziniert zu. Er wusste, dass es sich nicht gehörte zu lauschen und noch weniger, mit einer Optik Aufnahmen zu machen. Doch beides musste sein, wenn er Denurions Leben retten wollte.
    Ob der Xisrape sich das mit dem Fisch und den Schatten ausdachte? Oder besaß er Sinne, die weit sensibler waren als solche von Arkoniden? Immerhin hieß es, dass zwischen allen auf einer Welt lebenden Xisrapen eine Verbindung bestand. Verließ ein Xisrape den Planeten, wurde das von den anderen Xisrapen wahrgenommen.
    »Die Schatten sind weit weg, Reisender. Noch simulieren wir Tag.«
    »Du weißt, dass ich einen anderen Schatten meine als den, den deine Sonne macht.«
    Sie senkte den Kopf. Die Geste hatte etwas Beschämtes an sich.
    Chin'Fher berührte eines ihrer Augen und hielt Denurion die Hand hin. »Da, schau.«
    Denurion stülpte sich auf, sodass er in die Höhe wuchs. »Eine Wimper?« Er klang erregt.
    »Ein Geschenk.«
    Vorsichtig legte Chin'Fher die Wimper auf Denurions Haut. Das winzige Stück Haar war durch und durch weiß.
    »Ein gutes Geschenk. Ich werde es behalten.« Die Wimper sank in Denurions Haut und verschwand.
    Irgendwo in der Nähe erklang ein dumpfes Röhren.
    Denurion kroch von dem Mädchen fort. Seine Haut verfärbte sich eine Nuance ins Rötliche, als läge das Licht einer tief stehenden Sonne auf ihm.
    »Xaru! Wir müssen fort! Fliehenziehengeliehen ...« Die Wellenbewegungen, die zart über seine Haut liefen, intensivierten sich schlagartig.
    »Ganz ruhig. Es ist ein Bara«, sagte Chin'Fher, doch der Xisrape floh. Hin und wieder hob er vom Gras ab und schwebte ein paar Meter.
    Was hatte ihm solche Furcht gemacht? Etwa das Geräusch?
    Und was bedeutete Xaru? Sollte es der Name einer Gefahr sein? In den Studien, die Charron rezipiert hatte, hatte er dieses Wort