PR Odyssee 01 - Die Kolonisten der Zukunft
Flughöhe war schwer zu schätzen. Zwischen 500 und 800 Metern vielleicht. Unter dem Bus quoll der Fahrzeugstrom unvermindert dicht, nur in der Höhe war es ruhiger geworden.
Ronika presste ihr Gesicht an die Panzertropionscheibe und schirmte die Reflexe verursachende Innenbeleuchtung mit den Händen ab. Die vorbeihuschenden Fassaden erschienen nun deutlicher. Aber nicht das interessierte sie. Ihr Blick wanderte in die Höhe, glitt seitlich voraus und widmete sich zuletzt der Region hinter dem Schwebebus. Ronikas Aufatmen war nicht zu überhören.
»Die Nodronen-Jäger lassen uns in Ruhe«, versprach ihr Mann. »Keine Sorge. Die können unseren Ausbruch gar nicht mitbekommen haben, falls sie überhaupt von uns wissen.«
»Ihr Angriff galt den Wissenschaftlern von Cor’morian?«
»Wem sonst?«
Das leuchtete ein und half ein wenig, ihr Unbehagen zu verdrängen. Weit in der Ferne glaubte Ronika einen Hauch von Düsternis in der schwächer werdenden Lichtflut auszumachen. Eine schmale schwarze Säule, die den Stadtrand mit den Wolken verband. »Ist er das?«, wollte sie wissen.
»Wer?« Höhere Bauten behinderten die Sicht. Auf vielen Dächern wucherte eine üppige Pflanzenpracht, zum Teil hingen Schlingpflanzen weit über zerklüftete Mauern herab.
Jetzt sah es auch Khirm: eine sogar auf die große Entfernung noch deutlich wahrnehmbare Rauchsäule. »Der Ordensturm existiert nicht mehr«, bestätigte er. Knapp fünfzig Kilometer mochten sie mittlerweile entfernt sein. In der Passagierzelle herrschte Schweigen. Fran Imith hatte sich inzwischen auf einen der vielen freien Plätze sinken lassen.
Ronika hing düsteren Gedanken nach. Wie ihr erging es wohl den meisten. Furcht beherrschte sie, doch darin mischte sich auch ein wenig Neugierde. Wer hatte schon die Gelegenheit zu erfahren, wie die Zukunft aussah? Wäre nur nicht Unverständnis und Trauer gewesen. Sie hatten Menschen verloren, mit denen sie vor einem Tag aufgebrochen waren. Das war schwer zu verstehen. So wie Ronika vor Monaten den Tod ihrer Tochter nicht verstanden und schon gar nicht akzeptiert hatte. Sie glaubte, jeden Moment aus diesem schrecklichen Albtraum aufwachen zu müssen. Aber die leeren Plätze blieben. Nichts machte den Tod ihrer Begleiter ungeschehen - und das Entsetzlichste daran war die Vorstellung, dass sie selbst nur unverschämtes Glück gehabt hatte.
Warum? Da war die quälende Frage wieder, auf die es wohl nie eine zufrieden stellende Antwort geben würde. Ronika Smertens hatte geglaubt, sich eines Tages mit der Ungewissheit arrangieren zu können, doch nun erkannte sie, wie brüchig diese Hoffnung gewesen war. Ob ein Monat oder hundert Jahre - nichts, was einmal geschehen war, würde wirklich in Vergessenheit geraten.
»Welches Datum schreiben wir?«, fragte sie unvermittelt.
»Den 17. Juni«, murmelte Khirm schläfrig.
»Ich meine das Jahr«, fügte Ronika hinzu.
Er bedachte sie mit einem verwirrten Augenaufschlag. »1329 Neue Galaktische Zeitrechnung«, sagte er, verstand aber erst im selben Moment, worauf sie hinauswollte. »Ich weiß es nicht. Ich glaube kaum, dass wir eine Möglichkeit haben, das festzustellen.«
»Die Cor’morian können das.«
»Wahrscheinlich.«
»Sie werden uns auch wieder in unsere Zeit zurückschicken?«
»Das hat sich so angehört.«
»Wie bekommen wir erneut Kontakt zu ihnen?«
Khirm blickte seine Frau verwirrt an. »Ich habe keine Ahnung«, gestand er endlich ein. »Aber Rhodan oder Bull werden schon wissen, was sie tun.«
Der Bus sank langsam tiefer. Andere Fahrzeuge flogen auf demselben Kurs und kamen zum Teil sehr nahe. Viele transparente Kapseln waren darunter. Ronika entsann sich, solche eigenwilligen Gebilde bei den pyramidenartigen Bauwerken gesehen zu haben. Sie vermutete, dass es sich um öffentliche Verkehrsmittel handelte. Alles flutete in eine Richtung. Und dann entdeckte sie den zerklüfteten Hügel voraus. Ein unruhiges Spiel von Licht und Schatten veränderte sein Aussehen stetig. Das Areal war nicht einmal aus der momentanen Perspektive zu überschauen, es musste sich über viele Quadratkilometer hinweg erstrecken.
Mars-Liner-01 schwamm mit dem Strom. Hunderte der unterschiedlichsten Fahrzeuge waren ringsum.
Suchte Reginald Bull die Anonymität der Masse? Nach allem, was Ronika inzwischen gesehen hatte - und das waren nur eng begrenzte Ausschnitte - musste Mantagir ein ungeheurer Schmelztiegel sein, ein Ort, an dem wohl alle galaktischen Völker vertreten waren.
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