PR TB 038 Die Grenze Des Imperiums
Restaurants fortzusetzen.
Die zusammengesetzten, gereinigten und erneuerten Gegenstände
wurden in durchsichtigen Kunststoff eingelassen und bildeten ein
kleines planetares Museum. Viele von den Besuchern der herrlichen
Terrassen ließen sich nach dem Essen in die Vergangenheit
zurückführen und gingen schweigend durch die Gänge.
Und wenn sie der Blick des goldenen Götzen traf, erschauerten
sie. Die beiden geschliffenen Steine, die man ausgesondert und in die
leeren Höhlen eingesetzt hatte, stachen wie geschärfte
Dolche in die meisten Träume derNacht. Es war ein grausamer,
böser Götze gewesen, dem man vielleicht einmal Opfer
gebracht hatte.
Er hatte nicht nur vor über fünf Jahrtausenden Opfer
verlangt und bekommen.
Götzen sind unersättlich, und es war nicht abzusehen,
wann das nächste Opfer verlangt werden würde. Schaudernd
drängten sich die Gäste nach oben, in die Helligkeit.
*
Das gesamte Netz der Untergrundbahnen und die beiden Raumhäfen
waren endgültig fertig. Das gesamte Bauprogramm war bisher
lediglich um volle siebenundzwanzig Stunden verzögert worden; um
einen Tag von COUNTERPART. Kelly drehte sich auf den Bauch und schob
die dunkle Brille auf die Nase. Er blätterte in dem
achtzehnseitigen Prospekt, der vor ihm lag. Ein großformatiger
Prospekt in Kunstdruck. Er zeigte den Zustand der Stadt Chorsabad
Nova, fünfzehn Tage zurück. Heute war Kelly den
fünfundvierzigsten Tag auf dem Planeten.
Der Kontinent. . .
Die Stadt im Modell und in einer Montage .. .
Die beiden Häfen und besonders interessante Fotos aus der
Vielzahl der Bauarbeiten .. . Der Prospekt, den das Kolonialamt an
die Siedler verschickte.
Kelly im Gleiter neben einer der mächtigen Fräsen.
»Du machst dich gut aufBildern«, sagte Jeangeerd und
verrieb das öl auf ihrem Knie. Kelly rollte den Prospekt
zusammen und warf ihn in die offene Tasche neben der riesigen Decke.
»Du bist unfotografiert wesentlich reizvoller«, sagte
er und setzte sich auf.
Die Bucht schwang sich wie eine Sichel um den blauen Ausschnitt
des Binnenmeeres, und die Brandung warf kleine Wellen an den Strand.
Der Sand war heiß, und auf der Haut spürte man den
salzigen Niederschlag des Meerwassers. Der Wind kam von Osten und
warf kleine Sandfontänen auf. Außer Jeangeerd und Kelly
war kein Mensch hier zu sehen.
Das Mädchen trug einen weißen Badeanzug; sie legte sich
auf den Rücken und schloß die Augen. Die Stille wurde nur
vom Zischen der auslaufenden Wellen, vom Geräusch des Windes und
von Kelly unterbrochen, der sprach.
»Ich hoffe und glaube, daß deine
Minderwertigkeitsgefühle langsam verschwinden, Jeangeerd?«
Sie antwortete nicht.
Kelly stützte beide Ellenbogen links und rechts ihres Kopfes
in den Sand unter der Decke und betrachtete ihr Gesicht. Er
betrachtete die Haut in der Farbe des Zinnamonbaumes und die hellen
Lippen, die Ader, die neben ihrer Kehle entlanglief und die langen,
unruhigen Wimpern.
«Kelly«, sagte sie plötzlich, ohne die Augen zu
öffnen, »woher kommt es, daß man so lange leben
kann, ohne zu wissen, was man eigentlich sucht? Man sucht und wartet,
man wartet und sucht. Und eines Tages weiß man genau, mit fast
gläserner Klarheit, daß man den großen Fund gemacht
hat. Man ist dann ganz sicher und ganz ruhig. Nichts mehr ist wichtig
. . . sonst. Wie kommt das? Du bist älter als ich und müßtest
es wissen.«
Kelly küßte sie auf die hellen Lippen; sie schmeckten
etwas nach Sonnenöl.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er. »Ich
kann nicht mehr, als meine eigenen Gedanken darüber berichten,
aber ich weiß gleichzeitig, daß sie nur für mich
richtig sein können, für sonst niemanden.« Sie
tastete nach seiner Hand und streichelte seine Finger.
»Ich möchte es hören, Kelly.«
»Es sind die Träume«, sagte er. »Die
Tagträume. Man macht sich seit dem Tage, an dem man geboren
wird, ein Bild. Man findetjeden Tag ein neues, winziges Steinchen.
Man sammelt diese Steinchen zuerst, dann ordnet man sie. Und dann
zeichnet man ein Bild, legt diese Steinchen entlang der Linien und
merkt, daß sie nicht reichen. Es sind zu wenige, und die Farben
sind roch nicht tief genug.«
Er schwieg und überlegte.
»Weiter...«
»Und man sammelt weiter. Man träumt und sammelt. Und
man vermag nicht einmal, die tiefe Resonanz der Träume
aufzurühren, sie zu einem Laut zu bringen. Man ahnt und sammelt.
Immer mehr, immer länger, immer farbiger. Eines Tages bewegt man
sich in ein leeres Niemandsland hinein. Man
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