PR TB 040 Herr über Die Toten

überlegte, ob ich Elena über Helmtelekom anrufen
sollte, ließ es aber sein, weil ich mir sagte, daß das
Fremde dort oben dadurch gewarnt werden könnte. Dieser Entschluß
fiel mir nicht leicht. Noch immer hatte ich nichts von der Ärztin
gesehen oder gehört. Möglicherweise war sie bereits tot.
    Der Gedanke an ihre Lage spornte mich zu schnellem Handeln an. Ich
schob den Schockblaster wieder ins Halfter zurück, da er mich
beim Klettern nur behindert hätte. Danach griff ich an die
Eiskante in Augenhöhe, suchte mit den Füßen nach
einem Halt und zog mich hoch.
    Ohne die ausgezeichnet haftenden Plastiksohlen meiner Stiefel
hätte ich es vermutlich nicht geschafft, denn mir fehlte einfach
jegliche Erfahrung im Klettern. Weder in meinem Stützpunkt noch
im Innern Moduls, noch auf Rhodans Flaggschiff hatte ich mich darin
üben können, und es war auch gar kein Grund vorhanden
gewesen, es zu tun.
    Immerhin kam mir das harte Training zustatten, dem ich mich an
Bord der CRESTII unterworfen hatte, weil ich meinen Körper in
Form halten wollte. Der bevorstehende Endkampf mit den Meistern der
Insel konnte nur dann erfolgreich bestanden werden, wenn sich zum
logisch denkenden Geist eine gute körperliche Kondition
gesellte. Und innerhalb von zwei Monaten hatten die Ausbilder des
Landekommandos der CREST mir stahlharte Muskeln angezüchtet und
den hindernden Speck beseitigt.
    Im letzten Drittel der Kletterstrecke bewegte ich mich
vorsichtiger. Die Energieausstrahlung warjetzt ganz nahe. Nur noch
wenige Meter und…
    Ich stockte. Beinahe hätte ich meinen Halt losgelassen und
wäre in die Tiefe gestürzt. Fast eine halbe Minute lang
hing ich in der senkrechten Wand und rührte mich nicht. Die
Erkenntnis, daß ich mich wie ein blutiger Anfänger
benommen hatte, schmetterte mich förmlich nieder.
     
    Wo war nur mein Verstand gewesen, als ich die Energieausstrahlung
ortete?
    Allein schon die Erfahrung hätte mir sagen müssen, daß
die Impulse charakteristisch waren für die aktivierten Aggregate
eines Raumanzuges terranischer Konstruktion… ! Nachdem ich die
moralische Niederlage überwunden hatte, schaltete ich meinen
Helmtelekom ein.
    Menschliche Laute drangen in mein Bewußtsein.
    Ich verstand sie nicht, aber ich hörte einen gewissen
Rhythmus heraus, einen schwermütig stimmenden Tonfall,
Zärtlichkeit, Wehmut und unterschwellige Sehnsüchte…
    Elenas Stimme!
    “Aber was ist das für eine Sprache?”
    Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich, angesteckt von den
mitschwingenden Emotionen, laut dachte. Erst Elenas erschrockener
Ausruf brachte es mir zu Bewußtsein.
    “Ich bin es, Lun!” rief ich hastig.
    Schneller als zuvor überwand ich das letzte Drittel des
Weges. Oben streckten sich mir zwei Arme entgegen, halfen mir hinauf
auf einen Sockel aus Eis.
    Überrascht stellte ich fest, daß man von hier oben den
Sternenhimmel ANDRO-Betas sehen konnte - und das riesige Nebelrad
Andromedas. Nur unter uns dehnte sich die milchigweiße
Dunstschicht.
    “Lun… !” flüsterte Elena. “Wie kommen Sie
hierher?”
    Die Frage war natürlich dumm formuliert. Wie kam man schon
hierher auf die Spitze des Eisturmes!
    “Oh, Verzeihung, Sir”, murmelte sie. “Ich war
respektlos.”
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, daß Elena die Anrede
gemeint hatte.
    “Lassen Sie nur!” wehrte ich ab. “Ich bin kein
Offizier, Elena. Nennen Sie mich Baar. Bei euch Terranern ist es
üblich, daß sich Freunde beim Vornamen anreden, soviel ich
weiß.”
    Die Ärztin machte eine impulsive Bewegung, hielt aber dann
inne. Ihre erhobenen Arme sanken wiederherab.
    “Danke, Baar!” hauchte sie.
    Ihre Verlegenheit war mir unangenehm, ohne daß ich hätte
sagen können, warum eigentlich. Deshalb lenkte ich ab.
    “Ich hörte Sie sprechen, Elena, konnte aber nichts
verstehen… ?”
    “Oh!” Sie lachte gepreßt. “Das war
Russisch, Baar. Eine Sprache, die in meiner Heimat gesprochen wird,
obwohl wir natürlich schon in der Grundschule das Interkosmo
beigebracht bekommen.”
    Ich nickte, denn ich hatte schon davon gehört, daß die
Menschen der Erde verschiedene Sprachen besaßen.
    “Es gefiel mir, obwohl ich es nicht verstand, Elena. Was war
es?”
    “Ein Gedicht. Es ist nichts Besonderes, Baar, nur Worte, die
mir einfielen, während ich hier oben saß und die fernen
Sterne und Andromeda betrachtete.”
    “Würden Sie es mir in Interkosmo vortragen?”
fragte ich.
    Elena schwieg für einige Sekunden. Schon dachte ich, sie
würde meine Bitte