PR TB 071 Sturm Uber Babylon
zwei
Pfeile über die kurze Distanz von etwa fünfzehn
Metern heran; ich sah die Bronzespitzen, die immer größer
wurden. Ein harter Doppelschlag warf mich rückwärts in den
Sessel zurück, und die Pfeile steckten zwischen den Drahtringen
meines Panzers. Ich schnippte mit den Fingern, und aus den beiden
Wölfen wurden zwei goldene Blitze, die sich quer durch den Raum
bewegten. Ein heiseres Röcheln war zu hören, dann das
grauenvolle Knirschen der Fänge.
Ein Todesschrei gellte auf, und in die Männer kam Bewegung.
Der Tempeldiener, der neben dem Oberpriester stand, griff in den
Gürtel und zog einen Dolch heraus.
Kishurra schrie hart:
„AtlanlDa!"
Ich sprang auf, fing den Dolch auf, den er mir zuwarf, zielte kurz
und schleuderte meinen Arm nach vorn. Der Dolch überschlug sich
und raste, mit der Spitze voran, auf den Priester zu, drang bis an
das Heft in dessen Brust. „Ykern!" schrie der
Oberpriester.
Ein fremder Name? wisperte mein zusätzlicher Sinn.
Die Wölfe lösten sich von den zerfetzten Kehlen der
beiden Bogenschützen und blieben neben den Leichen stehen.
Reglos, wachsam und in Sekundenbruchteilen bereit, zu reagieren und
mein Leben zu schützen. Ich zog mit einiger Anstrengung die
beiden Pfeile aus meinem Kettenhemd heraus, sah sie schweigend und
verächtlich an und murmelte:
„Stümperarbeit!"
Dann brach ich sie auseinander und warf sie in das nächste
Kohlebecken. Die kleinen Flammen beleuchteten die schreckerfüllten
Züge der Männer. Ich nickte Kishurra zu und sagte leise:
„Dafür, Kishurra, schulde ich dir Freundschaft!"
Ich bemerkte, daß mich Hammurabi mit durchdringender
Aufmerksamkeit ansah. Er wich etwas zurück und lehnte sich gegen
die kostbare Rückenlehne seines Sitzes, als gebe sie ihm Schutz.
Der Mann, vor dem die Städte Babyloniens zitterten, war
erschrocken wie ein Kind. Unglaublicher Frevel war in der Großen
Halle geschehen. Zitternd vor Wut, Schrecken und Unfähigkeit, zu
han dein, stand der Oberpriester am Rand der steinernen Erhöhung.
Ich senkte den Kopf und verharrte so einige Minuten.
Dann sagte ich, hart und laut:
„Ich werde jetzt die Große Halle verlassen, in der
niemand weiß, wie die Würde des Gastes und der
Gastfreundschaft zu wahren ist. Und wenn Marduk ein starker Gott ist,
stärker also als ich, ein Mensch, dann soll er versuchen, mich
zurückzuhalten! Hammurabi du solltest diese Verbrechen sühnen,
indem du die Männer freiläßt. Sie hungern in den
Kerkern der Priester. Oder besser: der göttlichen Mörder.
Wo ich zu finden bin, weiß jeder."
Ich winkte den Wölfen, drehte mich grußlos um und
sprang von der Erhöhung. Dann verließ ich den Raum, durch
die Gasse, die sich in der Menge der Palastwächter bildete. Ich
nahm den schweren Flügel der Tür, die in den Vorraum
führte, in beide Hände und schleuderte sie zurück. Ein
dröhnender Schlag hallte durch den gesamten Palast. Durch den
beginnenden Morgen und dessen fahle, vom Nebel gebrochene Farben ging
ich langsam zurück zur Herberge.
Das Gerücht schien schneller gewesen zu sein als ich, denn
Abi'enchu empfing mich mit einem mächtigen Becher voll erhitztem
Wein, in den er Zimt, Kardamom, etwas Bilsenkraut und Honig
hineingerührt hatte. Der Wein roch stark und schmeckte
fremdartig, aber er erfüllte meinen Körper mit einem selten
gekannten Feuer.
„Vater der Klugheit, Bruder der Wölfe", sagte der
fette Wirt grinsend und leise, indem er den Schlaf aus seinen dünnen
Wimpern rieb, „du brauchst Schlaf und Wärme! Und ein Bad!
Alles ist in deinem Zimmer!"
Ich schlug ihm lachend auf die Schulter, und dabei begannen die
Rippen zu schmerzen. In meiner Kammer saß neben der riesigen
Holzwanne eine Sklavin. Ich ließ mich waschen und mit Öl
massieren, gab den Wölfen einige Befehle und schlief ein, als
habe man mich niedergeschlagen.
6.
Noch war der Himmel nicht ganz schwarz; die drohende Wolkenbank im
Osten sah aus wie ein verwittertes Gebirge. Zwischen den Ufern des
Euphrat begannen die dünnen Sommernebel aufzusteigen. Der Stern
der Ishtar glühte wie ein Dämonenauge. Eine unirdische Ruhe
schien sich über den ummauerten Teil der Stadt auszubreiten.
Einzelne Lichter flammten auf. In einer gewaltigen Anhäufung von
kubischen Bauten aller Größen brachen sich die Lichter auf
kantigen Winkeln, weißen Mauern und hinter dünnen
Vorhängen, an denen die Insekten hängenblieben. Von Zeit zu
Zeit entlockten
die Mardukdiener ihren rätselhaften Instrumenten laute,
hallende Töne.
Das
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